Rz. 46

Kontrovers diskutiert worden ist die Frage bei der Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren auf eine Verfahrensgebühr bei Abrechnung nach dem Gegenstandswert. Solche Fallkonstellationen konnten auftreten, wenn außergerichtlich zunächst mehrere Angelegenheiten mit unterschiedlichen Gegenständen gegeben waren und im anschließenden gerichtlichen Verfahren dann alle Gegenstände in einem Verfahren im Wege der objektiven Klagenhäufung geltend gemacht wurden. Ebenso konnte diese Fallkonstellation auftreten, wenn zwei Parteien außergerichtlich jeweils eigene Ansprüche gesondert geltend gemacht hatten, diese aber in ein einheitliches gerichtliches Verfahren im Wege von Klage und Widerklage eingebracht wurden.

 

Rz. 47

 

Beispiel:

Der Anwalt hatte außergerichtlich für den Auftraggeber gegen B eine Forderung i.H.v. 8.000,00 EUR geltend gemacht. Gleichzeitig hatte er in einer anderen Angelegenheit eine Forderung des B in Höhe von 6.000,00 EUR abgewehrt. Die Streitigkeiten waren umfangreich, aber durchschnittlich, sodass jeweils von der Mittelgebühr auszugehen war. Anschließend erhob der Anwalt für seinen Mandanten Klage auf Zahlung der 8.000,00 EUR. Der Beklagte B erhob Widerklage wegen seiner 6.000,00 EUR. Es wurde mündlich über Klage und Widerklage verhandelt. Der Streitwert wurde auf 14.000,00 EUR festgesetzt (§ 45 Abs. 1 S. 1 GKG).

Außergerichtlich waren zwei verschiedene Angelegenheiten gegeben und damit zwei Geschäftsgebühren entstanden. Abzurechnen war insoweit wie folgt (alte Gebührenbeträge):

I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000,00 EUR)

 
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   684,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 704,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   133,76 EUR
  Gesamt   837,76 EUR

II. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 6.000,00 EUR)

 
1. 1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG   531,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 551,00 EUR  
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   104,69 EUR
  Gesamt   655,69 EUR
 

Rz. 48

Im gerichtlichen Verfahren war sodann eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 14.000,00 EUR entstanden. Darauf waren jeweils 0,75 aus 8.000,00 EUR und aus 6.000,00 EUR anzurechnen. Nach der Rechtsprechung des BGH sollten beide Geschäftsgebühren in voller Höhe anzurechnen sein.

 
Hinweis

Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren auf einheitliche Verfahrensgebühr

Fällt die Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts mehrfach an und werden die vorgerichtlich geltend gemachten Ansprüche im Wege objektiver Klagehäufung in einem einzigen gerichtlichen Verfahren verfolgt, so dass die Verfahrensgebühr nur einmal anfällt, sind alle entstandenen Geschäftsgebühren in der tatsächlichen Höhe anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

BGH, Beschl. v. 28.2.2017 – I ZB 55/16[1]

 
Praxis-Beispiel

Dies ergab folgende Berechnung:

III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 14.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG 845,00 EUR  
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000,00 EUR – 342,00 EUR  
3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 6.000,00 EUR – 265,50 EUR  
  verbleibende Verfahrensgebühr   237,50 EUR
4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG   780,00 EUR
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.037,50 EUR  
6. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG   197,13 EUR
  Gesamt   1.234,63 EUR
 

Rz. 49

Nach anderer Auffassung, insbesondere des OLG Koblenz und des OVG Nordrhein-Westfalen, war dagegen nicht mehr anzurechnen als eine Gebühr nach dem höchsten Anrechnungssatz aus dem Gesamtwert.

 

Rz. 50

 
Hinweis

Mündet die vorprozessuale Tätigkeit für mehrere Auftraggeber wegen verschiedener Gegenstände in einen einheitlichen Prozess wegen sämtlicher Gegenstände, hat die Anrechnung der Geschäftsgebühr ausschließlich aus dem Wert des Gegenstandes des gerichtlichen Verfahrens zu erfolgen.

OLG Koblenz, Beschl. v. 24.9.2008 – 14 W 590/08[2]

 

Rz. 51

 
Hinweis

Die Geschäftsgebühr für das vorgerichtliche Widerspruchsverfahren ist auf die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren nach einem fiktiven einheitlichen Gegenstand und dem hierfür festgesetzten Gesamt-Streitwert hälftig anzurechnen, wenn für das Widerspruchsverfahren tatsächlich mehrere einzelne Geschäftsgebühren von Teilen des späteren gerichtlichen Streitgegenstandes entstanden sind (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV RVG).

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.7.2017 – 19 E 614/16[3]

Danach war im gerichtlichen Verfahren wie folgt zu rechnen:

 
Praxis-Beispiel

III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 14.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG   845,00 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 8.000,00 EUR – 342,00 EUR  
3. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG anzurechnen, 0,75 aus 6.000,00 EUR – 265,50 EUR  
  analog § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 0,75 aus 14.000,00 EUR   – 487,50 EUR
4. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG   780,00 EUR
5. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.157,50 EUR  
6. 19 ...

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