Rz. 131

§ 1568a Abs. 1 BGB erfasst unmittelbar die Fälle, in denen die Ehewohnung im Mit- oder Gesamtheitseigentum der Ehegatten steht, sowie diejenigen, bei denen eine entsprechende gemeinsame anderweitige dingliche Berechtigung an der Wohnung besteht; außerdem die Fälle, in denen die Ehewohnung gemietet ist. Abs. 1 greift auch ein, wenn der dinglich alleinberechtigte Ehegatte die Überlassung der Wohnung verlangt. Die Vorschrift erfasst nicht die Fälle, in denen der dinglich nicht berechtigte Ehegatte von dem dinglich alleinberechtigten Ehegatten die Überlassung der Ehewohnung verlangt, sowie die Fälle, in denen der dinglich nicht berechtigte Ehegatte die Überlassung einer Ehewohnung verlangt, an der dem anderen Ehegatten gemeinsam mit einem Dritten ein dingliches Recht zusteht.[354] Die Vorschrift unterscheidet sich damit erheblich von § 3 HausratsVO a.F., denn diese betraf überhaupt nur den Fall, in dem die Wohnung dem dinglich nicht berechtigten Ehegatten zugewiesen werden sollte. Der in der familiengerichtlichen Praxis bedeutsamste Fall des Miteigentums der Ehegatten an der Ehewohnung ist auch in der Neuregelung nicht speziell erfasst worden, er fällt unter § 1568a Abs. 1 BGB mit der wichtigen Folge, dass das Kindeswohl ein vorrangig zu berücksichtigendes Kriterium darstellt.

 

Rz. 132

§ 1568a Abs. 1 BGB erfasst auch die Fälle des Abs. 4 der Vorschrift.[355] Für eine solche Auslegung spricht bereits der insoweit klare Wortlaut der Vorschrift. Das Hauptargument der Gegenansicht, der Gesetzgeber gehe davon aus, dass im Interesse der Rechtsklarheit als Rechtsfolge der Wohnungsüberlassung künftig ausschließlich die Begründung oder Fortführung eines Mietverhältnisses erfolge,[356] weshalb einen nur das Innenverhältnis der Ehegatten regelnde Überlassung der Ehewohnung zur Nutzung nicht gewollt sei, trifft nicht zu. Die benannte Regelungsabsicht der Gesetzgeber ist keine solche, es handelt sich bloß um die Vorstellung der Gesetzesverfasser, nämlich um die Vorstellungen der Ministerialbeamten, die den Entwurf erarbeitet haben. Sie stellen nicht den Willen der eigentlichen Gesetzgeber dar und sind daher für den Ausleger auch nicht bindend.[357] "Wille der Gesetzgeber" sind nur die zutage liegende Grundabsicht der Gesetzgeber und diejenigen Vorstellungen, die in den Beratungen der gesetzgebenden Körperschaft oder ihrer zuständigen Ausschüsse zum Ausdruck gebracht und ohne Widerstand geblieben sind. Hierzu zählen die hier in Frage stehenden Normvorstellungen der Gesetzesverfasser nicht. Demgegenüber ist in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Rechtsausschusses vom 13.5.2009[358] lediglich ausgeführt, dass es eines gesonderten familienrechtlichen Anspruchs auf Nutzungsentschädigung nach Einfügung des Anspruchs auf Begründung eines Mietverhältnisses für die zur Vermietung berechtigte Person in § 1568a Abs. 5 S. 1 BGB nicht mehr bedürfe, da der dinglich Berechtigte durch diesen Anspruch ausreichend abgesichert sei. Die Gesetzgeber regelten allein die bis dahin bei § 1568a Abs. 5 S. 1 BGB-E enthaltene Lücke, nicht jedoch die hier in Frage stehende Fallkonstellation von § 1568a Abs. 4 BGB. Sie machten sich über diese keine Gedanken, weshalb ihr Schweigen auch nicht in dem Sinne "beredt" ist, es sollten Überlassungsansprüche nur gemeinsam mit Vergütungsansprüchen entstehen.[359]

Der "Wille der Gesetzgeber" spricht nicht für, sondern gegen die Auslegung, den Überlassungsanspruch des § 1568a Abs. 1 BGB an die strengeren Voraussetzungen des Abs. 4 der Vorschrift zu knüpfen. Entscheidend war für die Gesetzgeber nämlich der Schutz des Kindeswohls, der gerade nicht umfassend gewährt wäre, knüpfte man den Überlassungsanspruch an die hohen Voraussetzungen von § 1568a Abs. 4 BGB. Die Berücksichtigung des Kindeswohls führt nämlich nicht in jedem Fall und nicht mit ausreichender Sicherheit zur Bejahung einer schweren Härte im Sinne der Vorschrift. Insbesondere das Gebot verfassungskonformer Auslegung verlangt, dass der Anspruch auf Überlassung der Wohnung nach § 1568a Abs. 1 BGB nicht vereitelt wird, was gerade geschähe, wenn man den Überlassungsanspruch an die Voraussetzungen des § 1568a Abs. 4 BGB knüpfte. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 12.5.2006[360] lässt sich die zu § 4 HausratsVO a.F. vertretene Ansicht,[361] die durch die Vorschrift erfolgende Begünstigung des Arbeitgebers gegenüber Ehegatten und Kindern sei mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, nicht mehr aufrechterhalten.[362]

[354] Johannsen/Henrich/Götz, § 1568a Rn 12 f.; MüKo-BGB/Wellenhofer, § 1568a Rn 12, 24; Palandt/Brudermüller, § 1568a Rn 7, 9; Staudinger/Weinreich, § 1568a Rn 37 ff.; vgl. zu den Fällen unterschiedlich starker dinglicher Rechte OLG Stuttgart FamRZ 1990, 1260; OLG Oldenburg FamRZ 1998, 571.
[355] Erbarth, FuR 2010, 670, 675 f.; MüKo-FamFG/Erbarth, § 200 Rn 69; MüKo-BGB/Wellenhofer, 5. Aufl. 2010 § 1568a Rn 38; Götz/Brudermüller, NJW 2008, 3025, 3029; a.A. Bork/Jacoby/Schwab/Schwab, § 200 Rn 23; Johannsen/Henrich/Götz, § 1568a Rn 41; MüKo-BGB/Well...

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