Rz. 47

Der Anspruch eines Ehegatten gegen den anderen auf Überlassung der Ehewohnung für die Zeit des Getrenntlebens setzt weiter voraus, dass bei dem Ehegatten, der die Wohnung begehrt, ohne die Überlassung eine unbillige Härte einträte. Der Wortlaut des § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB lässt zwar die Frage offen, für wen die unbillige Härte gegeben sein muss. Die verlangte Notwendigkeit, eine unbillige Härte zu vermeiden, entbehrt nämlich nach dem Wortlaut des Gesetzes eines Subjekts.[112] Die systematische Auslegung der Vorschrift, die eine sachlich übereinstimmende Behandlung mit § 1361a Abs. 1 S. 2 BGB fordert (dem § 1361b Abs. 1 BGB nachgebildet wurde) und die Regelungsabsicht der Gesetzgeber zeigen, dass die Härte für den die Alleinnutzung begehrenden Ehegatten gemeint ist.

Der in der ursprünglichen Fassung des Gesetztes enthaltene unbestimmte Rechtsbegriff der "schweren Härte" ist durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetztes zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung[113] durch den unbestimmten Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" ersetzt worden. Als Begründung ist lapidar angeführt, dass die Praxis zu § 1361b BGB als unbefriedigend empfunden werde[114] und bereits mehrere Versuche unternommen worden seien, die Vorschrift zu ändern. Der Begriff der "schweren Härte" stelle eine "zu hohe Schwelle"[115] dar. Es sollte insbesondere die Überlassung der Ehewohnung an den von Gewalt des anderen Ehegatten betroffenen Ehepartner erleichtert werden.[116] Die veränderte Wortwahl bedeutete praktisch ebenso wenig einen Unterschied, wie die im Gesetzgebungsverfahren bei Einfügung des § 1361b BGB auf Vorschlag des Bundesrats vorgenommene umgekehrte Änderung des Begriffs.[117] Jedes Mal scheint lediglich ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen, ebenso unbestimmten ersetzt zu werden. Jedoch beinhaltet der neuerliche Begriffswechsel eine Änderung des spezifischen Rechtsgedankens des entscheidenden Tatbestandsmerkmals des § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB – der Härte.

Der Härtebegriff ist ein ausfüllungsbedürftiger Wertmaßstab, der, wie jeder Wertmaßstab, einen solchen Gedanken enthält.[118] Die Änderung ergibt sich aus der Begründung des Gesetzesentwurfs und der Gesamtintension der Gesetzgeber, denn als Normzweck wird nunmehr der Schutz vor häuslicher Gewalt genannt.[119] Demgegenüber sollte § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB a.F. nach dem ursprünglichen gesetzgeberischen Zweck gerade durch den Abbau von Spannungen die Versöhnung der Ehegatten fördern und dazu beitragen, die Ehe zu erhalten. Der Gesetzgeber bezog sich zudem ausdrücklich auf die Wertentscheidungen von Art. 6 Abs. 1 GG. Der Norm lag die Abwägungsfrage zugrunde, wie sich in der betreffenden Ehe die interventionsfeindlichen Gesichtspunkte von Eheschutz und Familienautonomie zu dem notwendigen Persönlichkeitsschutz eines Ehegatten verhalten.[120] Eine "verfassungskonforme" Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "unbilligen Härte" erscheint nach wie vor fraglich,[121] ist jedoch seit der Änderung der Vorschrift überwiegend vorgenommen worden und sollte deshalb in der gerichtlichen Praxis ebenfalls erfolgen.[122] Es sind also bei der Auslegung des Begriffs der unbilligen Härte unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG zwingend eheerhaltende Gesichtspunkte bei der Auslegung und Abwägung des unbestimmten Rechtsbegriffs einzubeziehen.[123] Die Überlassung der Ehewohnung darf nach wie vor die Scheidung weder vorbereiten noch erleichtern, sondern nur den Zustand während des Getrenntlebens der Ehegatten regeln.[124]

 

Rz. 48

Teilweise[125] wird noch immer, in Anlehnung an eine gängige Definition der "schweren Härte", versucht, den unbestimmten Rechtsbegriff der "unbilligen Härte" zu definieren. Eine unbillige Härte soll danach vorliegen, wenn aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise eine Überlassung der Wohnung unter Berücksichtigung auch der Belange des anderen Ehegatten dringend erforderlich ist, um eine unerträgliche Belastung des die Überlassung begehrenden Ehegatten oder deren im Haushalt lebenden Kinder abzuwenden.[126] Die Definitionsversuche der "schweren Härte" führen ebenso zu keiner Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs, wie der Definitionsversuch der "unbilligen Härte" dies bewirkt. Eine wage Formel wird jeweils durch eine Mehrzahl gleichermaßen aussageschwacher Begriffe ersetzt.[127] Der Versuch einer Definition ist zum Scheitern verurteilt, weil sich das Gesetz mit den Begriffen wie der "unbilligen Härte" zur Umschreibung des Tatbestands eines ausfüllungsbedürftigen Wertmaßstabs bedient und diese sich jeder begrifflichen Definition entziehen.[128] Dennoch sind derartige Maßstäbe nicht schlechthin inhaltslos. Sie enthalten vielmehr jeweils einen spezifischen Rechtsgedanken, der durch allgemein akzeptierte Beispiele verdeutlicht werden kann. Ihre inhaltliche Ausfüllung erhalten sie durch das allgemeine Bewusstsein der zur Rechtsgemeinschaft Verbundenen, dass so...

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