Rz. 71

Durch die Ungültigerklärung wird der Beschluss rückwirkend (ex tunc) beseitigt – aber nur in der Theorie. Aus guten Gründen ignoriert die gerichtliche Praxis die Rückwirkung in allen relevanten Fällen und geht von einer Wirkung nur für die Zukunft (ex nunc) aus, so insbesondere bei der Aufhebung des Beschlusses über die Verwalterbestellung (→ § 10 Rdn 76).

 

Rz. 72

Nach einer erfolgreichen Beschlussanfechtungsklage steht fest, dass der für ungültig erklärte Beschluss nicht ordnungsmäßiger Verwaltung entsprach.[78] Es entspricht ordnungsmäßiger Verwaltung, danach zu dem betroffenen Sachverhalt einen neuen Beschluss zu fassen. Die Gemeinschaft muss das tun, wenn ein Miteigentümer (meistens einer derjenigen, die gegen den für ungültig erklärten Beschluss gestimmt hatte) es verlangt. Nötigenfalls kann die Beschlussfassung mittels einer Beschlussersetzungsklage gerichtlich durchgesetzt werden (→ § 6 Rdn 39). Häufig spricht man in diesem Zusammenhang (entsprechend den im Verwaltungsrecht nach Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte entwickelten Grundsätzen) von einem Folgenbeseitigungsanspruch. Ein Folgenbeseitigungsanspruch hat den Inhalt, dass soweit möglich die Situation hergestellt wird, die ohne die Ausführung des aufgehobenen Beschlusses bestehen würde.[79] Letztlich geht es dabei aber um nichts anderes als um den "normalen" Anspruch gem. § 18 Abs. 2 WEG auf ordnungsmäßige Verwaltung. Die Eigentümer müssen darüber befinden, welche Konsequenzen sie aus der Ungültigerklärung ziehen, insbesondere ob eine bereits durchgeführte Maßnahme wieder rückgängig gemacht werden soll.[80] Hierbei besteht – wie bei jedem Beschluss – ein Ermessensspielraum. Dabei spielt es auch eine Rolle, aus welchen Gründen der Beschluss gerichtlich für ungültig erklärt wurde. Erfolgte dies lediglich wegen Formfehlern der Beschlussfassung (bspw. wegen Ladungsfehlern, unzureichender Information oder fehlender Vergleichsangebote), wird ein Anspruch auf Rückgängigmachung regelmäßig nicht in Betracht kommen. Anders verhält es sich, wenn ein Beschluss aus materiellen Gründen für ungültig erklärt wurde, bspw. weil eine bauliche Veränderung i.S.v. § 20 Abs. 3 WEG einzelne Wohnungseigentümer unbillig beeinträchtigt; hier wird man einen Anspruch auf Rückgängigmachung i.d.R. bejahen. Allerdings sind die Kosten des Rückbaus gem. § 16 Abs. 2 S. 1 WEG von allen Miteigentümern zu tragen; somit ist auch der erfolgreiche Kläger daran zu beteiligen, der auf diese Weise einen finanziellen Schaden erleidet. Es stellt sich die Frage, ob er diesen ersetzt verlangen kann. Wenn ein Beschluss einer baulichen Veränderung weder aus formellen noch aus materiellen Gründen, sondern nur im Hinblick auf die Kostenverteilung angefochten und für ungültig erklärt wurde, stellt sich ebenfalls die Frage, ob der siegreiche Kläger allen durch die Beschlussfassung verursachten Kosten entgehen kann. Diese Fragen werden im nachfolgenden Beispiel erörtert.

 

Rz. 73

 

Beispiel

Beschlossen werden bauliche Veränderungen i.S.v. § 20 Abs. 1 WEG, konkret der Anbau eines Vordachs über der Eingangstür und die Errichtung einer Treppenschiene auf der Kellertreppe, damit Fahrräder leichter die Treppe hinauf- oder hinuntergeschoben werden können. Die Kosten sollen beschlussgemäß auf alle Miteigentümer nach MEA verteilt werden; das Quorum des § 21 Abs. 2 Nr. 1 WEG wird aber nicht erreicht. Der Beschluss wird wegen seiner Kostenregelung von Miteigentümer A angefochten und später – nachdem er längst umgesetzt ist – zur Gänze für ungültig erklärt. A wird in diesem Fall keine Folgenbeseitigung in der Weise verlangen können, dass die Baumaßnahme rückgängig gemacht wird. Die Frage ist, ob er dann wenigstens im Wege des Schadensersatzes verlangen kann, in der Jahresabrechnung von den Kosten freigestellt zu werden. Die Frage ist zu verneinen.[81] Der Verteilerschlüssel MEA ist gem. § 16 Abs. 2 S. 1 richtig; ein Anspruch auf Änderung besteht nicht. Die Beschlussfassung war zwar objektiv fehlerhaft. Die Gemeinschaft handelte aber nicht schuldhaft, sondern ordnungsmäßig, als sie den Beschluss ungeachtet seiner Anfechtung zur Ausführung brachte. A hätte versuchen können und müssen, den Beschlussvollzug mittels einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern. Einschlägige Rspr. ist nicht bekannt.

Variante: Während des laufenden Anfechtungsverfahrens wird auf Grundlage der Jahresabrechnung, in der die Ausgaben für die streitigen Maßnahmen nach MEA verteilt wurden, über Nachschüsse bzw. Anpassung der Vorschüsse Beschluss gefasst; der Abrechnungsbeschluss wird bestandskräftig. Damit steht die Kostenverteilung fest; Ersatzansprüche des A sind unabhängig vom Ausgang des Anfechtungsverfahrens betr. den Baubeschluss ausgeschlossen (→ § 8 Rdn 21). Dem A ist zu raten, auch den Abrechnungsbeschluss anzufechten. Der Prozess über den Abrechnungsbeschluss ist sodann gem. § 148 ZPO auszusetzen, weil er vom Ausgang des Prozesses über den Baubeschluss und dessen Kostenregelung abhängt.

 

Rz. 74

Wenn eine rechtswidrige Beschlussfas...

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