Rz. 6

Die größte Schwierigkeit bei der Regulierung des Personenschadens liegt darin, aus der Fülle der Personenschäden den Großschaden herauszufinden. Dieses erfordert besondere Sachkenntnis und begründet ein erhebliches Haftungspotential. Jeder Anwalt ist also gut beraten, bei der Aufklärung des Sachverhalts Indizien aufzunehmen, die für das Vorliegen eines Großschadens sprechen können. Salopp formuliert kann man sogar sagen, dass viele Anwälte Personengroßschäden in ihren Aktenschränken verwahren, ohne dies jemals erkannt zu haben. Die Abgrenzung des Personengroßschadens vom mittleren Personenschaden kann nach dem finanziellen Aufwand erfolgen, der vom Haftpflichtversicherer für die Regulierung aufzubringen ist (so Buschbell, § 26 Rn 6). Hier wird danach differenziert, ob für einen Personenschaden weniger als 50.000 EUR Aufwand zu leisten sind oder mehr als 50.000 EUR gezahlt werden müssen. Der Großschaden beginnt nach dieser Lesart also ab 50.000 EUR Aufwand. Unklar bleibt jedoch an dieser Stelle, wie der Aufwand zu definieren ist. Handelt es sich um die Ansprüche, für die der Geschädigte aktivlegitimiert ist oder auch um diejenigen Ansprüche, die bereits im Zeitpunkt des Unfallereignisses gem. § 119 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind? Man muss wohl davon ausgehen, dass es sich bei der 50.000 Euro-Marke um diejenigen Ansprüche handelt, wegen derer der Geschädigte in seiner Person aktivlegitimiert ist. Dieses ist im Verhältnis zu den übergegangenen oder übergehenden Ansprüchen auf Dritte ohnehin oftmals der bei weitem kleinere Anteil am Gesamtschaden.

 

Rz. 7

Nun steht es jedoch nicht von Anfang an offenkundig fest, dass der vorliegende Sachverhalt, der vom Mandanten vorgetragen wird, diese Voraussetzungen erfüllt. Gerade der Anwalt, der nur hin und wieder oder vielleicht nur ein einziges Mal in seiner Anwaltstätigkeit mit der Regulierung eines Personengroßschadens beauftragt wird, verfügt nicht über die nötige Erfahrung, um zu Beginn des Mandats überschlägig die einzelnen Schadensersatzpositionen ermitteln zu können, damit er feststellen kann, ob der vom Versicherer zu leistende Aufwand den Betrag von 50.000 EUR übersteigt oder nicht. Hierfür kommt es vielmehr auf verschiedene Indizien im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung an. So spricht vieles für das Vorliegen eines Großschadens, wenn der Geschädigte ein Polytrauma erlitten hat. Hierbei handelt es sich um eine gleichzeitig entstandene Verletzung mehrerer Körperregionen oder Organsysteme, wobei wenigstens eine Verletzung oder die Kombination mehrerer lebensbedrohlich ist (Pschyrembel, Stichwort "Polytrauma"). Oftmals tritt als Folge eines Polytraumas ein medizinischer Dauerschaden bis an das Lebensende ein. Je nach Ausprägung des Dauerschadens ist damit der dauernde Verlust oder die dauerhafte erhebliche Einschränkung der Erwerbsfähigkeit verbunden. Dies führt nicht selten zum Verlust des Arbeitsplatzes, weil entweder die physischen oder die psychischen Voraussetzungen fehlen, die Arbeitsleistung im alten Umfang wie vor dem Unfall zu erbringen. Oftmals schildert der Mandant wochenlange bis monatelange stationäre Aufenthalte in Kliniken und Rehaeinrichtungen. Nach diesseitigem Verständnis sollte die Abgrenzung nicht an einer Euromarke erfolgen, sondern danach, ob ein Dauerschaden vorliegt, der eine weitere Erwerbstätigkeit ausschließt, weil dieses zugleich einen Rentenanspruch im Bereich des Erwerbsschadens und auch des Haushaltsführungsschadens begründet – erst recht natürlich, wenn pflegerische Unterstützung erforderlich ist.

 

Rz. 8

Wenn der Anwalt nun festgestellt hat, dass das ihm angetragene Mandat ein Personengroßschaden ist, muss er sich ernsthaft die Frage stellen, ob er die notwenige Kompetenz zur Regulierung der Ansprüche eines Schwerstverletzten überhaupt hat. So weist Buschbell (§ 1 Rn 2–4) zu Recht darauf hin, dass die Regulierung schwerwiegender Personenschäden notwendige Spezialkenntnisse erfordert, nicht zuletzt auch unter dem Aspekt der Vermeidung von Regressfällen. Um die Regulierung mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer auf gleicher Augenhöhe betreiben zu können, bedarf es enormer Spezialkenntnisse, nicht nur im Zivilrecht, sondern im Sozialrecht, wenn es z.B. um die Abgrenzung übergegangener oder übergehender Ansprüche geht. Man muss sich vor Augen halten, dass der Sachbearbeiter in der Personengroßschadensabteilung eines KH-Versicherers den ganzen Tag nichts anderes tut, als Personengroßschäden zu regulieren. Er ist also bestens mit der Materie vertraut. Der Versicherer wendet oftmals auch erhebliche Kosten auf, um seine Mitarbeiter in Seminaren intern oder extern schulen zu lassen. Großschadenssachbearbeiter erhalten auf diesem Wege immer wieder Kenntnis von aktueller Rechtsprechung. Sie haben eine große Anzahl von Fachzeitschriften regelmäßig zur Hand und darüber hinaus die Möglichkeit, hausintern beispielsweise auf medizinische oder verkehrsunfallanalytische Sachverständige zurückzugreifen. Dies alles kostet ...

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