Rz. 132

Der Regress ist das Gegenstück des nachrangig ausgestalteten Sozialleistungsverhältnisses. Wenn man den Begriff des "Sozialhilfe"-Regresses als Oberbegriff für das Leistungsstörungsrecht des sozialrechtlichen Leistungstatbestandes nachrangiger Leistungsgesetze akzeptiert und nicht nur auf das SGB XII begrenzt, dann zeigt der Vergleich der nachrangigen Gesetze miteinander, dass es auch insoweit keine einheitlichen Grundsätze gibt. Ausgangspunkt kann zwar immer die Aufhebung von Verwaltungsakten nach §§ 45, 48 SGB X sein. Aber z.B. im BAföG findet eine Korrektur zur Durchsetzung des Nachranggrundsatzes über § 20 BAföG statt. In anderen Gesetzen – z.B. § 141 SGB IX, § 95 SGB VIII – wird der Rückgriff auf die Mittel des Leistungsempfängers nur durch Überleitung (Magistralzession) realisiert.

 

Rz. 133

Am differenziertesten ist das Regressrecht im SGB II und im SGB XII ausgestaltet. Das Instrumentarium besteht aus Darlehens-, Aufwendungsersatz-, Kostenersatz- und Regressregeln. Damit wird dem Sozialhilfeträger an die Hand gegeben, den Nachrang der Sozialhilfe (nachträglich) wiederherzustellen und/oder auch auf grobe Verletzungen des Nachranggrundsatzes (z.B. sich vorsätzlich bedürftig zu machen) zu reagieren.

 

Rz. 134

Hintergrund dieser hohen Differenzierung sind die Strukturprinzipien[112] des "Sozialhilfe"rechts. Spiegelbildlich zum Leistungsrecht ergibt sich aus ihnen das ausdifferenzierte Leistungsstörungsrecht. So ist es im sozialhilferechtlichen Leistungsverhältnis ein "Störfall", wenn man etwas beanspruchen, aber nicht gesichert darauf zugreifen kann. Es ist ein "Störfall", wenn "Mittel" für den Leistungsanspruch noch nicht gesichert errechnet werden können, aber zwingend Hilfe geleistet werden muss. Für "Mittel" aus Schenkung oder Erbfall, die aus welchen Gründen auch immer vorübergehend oder gar nicht (mehr) zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können, gilt nichts anderes. Wegen des Bedarfsdeckungsgrundsatzes/des Faktizitätsprinzips und des Gegenwärtigkeitsprinzips müssen Leistungen gleichwohl erbracht werden. Ausnahmen davon sind gesetzlich ausdrücklich nicht geregelt.

 

Rz. 135

Das BSG[113] hat entschieden, dass ein Leistungsausschluss in der Existenzsicherung im Hinblick auf den Bedarfsdeckungsgrundsatz einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung bedarf. Weder § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II ("Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.") noch § 3 Abs. 3 SGB II ("Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dürfen nur erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann; …") regelten eigenständige Ausschlusstatbestände. Das gilt entsprechend für § 2 SGB XII. Es handelt sich um Grundsatznormen, die durch die Regelungen insbesondere über den Einsatz von Einkommen und Vermögen bzw. sonstige leistungshindernde Normen konkretisiert werden und regelmäßig nur im Zusammenhang mit ihnen Wirkung entfalten.[114] Nur im "extremen Ausnahmefall"[115] – etwa, wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind – kann es zur Leistungsversagung kommen.

 

Rz. 136

Ansonsten reagieren SGB II und SGB XII auf den aus verfassungsrechtlich gebotenen Gründen "vorläufigen Vorrang"[116] der Sozialhilfeleistung mit einem dezidierten System eigener Störfallregeln.[117] Die dem Grunde nach vorhandenen Mittel verlieren ihre Rechtsqualität als einzusetzende oder zu verwertende Mittel nicht.[118]

 

Rz. 137

Abb.: "Sozialhilfe"-Regress im SGB XII

Abb.: "Sozialhilfe"-Regress im SGB II

1. Sichbedürftigmachen – zwischen "Sozialhilfe"-Regress und Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)

 

Rz. 138

Grundsicherung = Sicherung eines Existenzminimums beruht auf dem Prinzip der Menschenwürde und der Solidarität. Deshalb wird im Regelfall im Recht des sozialen Nachteilsausgleichs nicht danach gefragt, warum der Betroffene bedürftig i.S.d. Gesetzes ist.[119] Das BVerfG führt dazu aus: "Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfäh...

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