Rz. 229

Über § 6 FamFG findet § 42 Abs. 2 ZPO entsprechende Anwendung. Danach kann ein Richter abgelehnt werden, wenn die Besorgnis besteht, dass er nicht unparteilich ist. Bis zum Beweis des Gegenteils ist allerdings die Unparteilichkeit zu vermuten.[829]

 

Rz. 230

Wesentlicher Bestandteil der richterlichen Pflicht zu unvoreingenommener neutraler Amtsführung ist auch die Verfahrensgestaltung.[830] Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften können daher grundsätzlich die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Auch wenn das Ablehnungsrecht kein Mittel zur Verfahrenskontrolle des Richters ist, so können doch grobe Verfahrensfehler, die die Rechte der Beteiligten unberechtigt verkürzen, durchaus eine Richterablehnung begründen.[831] Hierzu gehört etwa die massive Verletzung rechtlichen Gehörs oder die Ablehnung einer berechtigten Akteneinsicht.[832] Die Entscheidung über ein entsprechendes Gesuch muss eine umfassende Abwägung der berechtigten Interessen der Verfahrensbeteiligten erkennen lassen.[833] Da allerdings auch jede Richterablehnung notwendigerweise zu einer weiteren Verfahrensverzögerung führt,[834] wird die auf den Vorwurf des verzögerten Verfahrens gestützte Richterablehnung auf die Fälle der krassen, nicht mehr hinnehmbaren Verzögerungen beschränkt bleiben müssen. Eine Verzögerung ist dann nicht mehr hinnehmbar, wenn sich das Vorgehen des Richters so sehr von dem normalerweise geübten Verfahren entfernt, dass für den hierdurch betroffenen Beteiligten der Eindruck einer sachwidrigen, auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung entsteht.[835]

 

Rz. 231

Besondere Bedeutung erfährt diese Problematik im Umgangsrechtsverfahren. Dem umgangsberechtigten Elternteil ist an einer möglichst raschen gerichtlichen Entscheidung gelegen. Insoweit unterscheiden sich die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit deutlich von den allgemeinen zivilgerichtlichen Verfahren.[836] Wird der Umgangskontakt durch den betreuenden Elternteil blockiert, so muss der umgangsberechtigte Elternteil sich zunächst mit der Tatsache auseinandersetzen, dass ihm der persönliche Kontakt zum Kind genommen wird. Zudem muss er eine Entfremdung des Kindes von ihm befürchten, die regelmäßig mit einer Verschlechterung seiner Position im gerichtlichen Verfahren einhergehen wird.[837]

 

Rz. 232

Dieser besonderen Problematik hat der Gesetzgeber im FamFG dadurch Rechnung getragen, dass er auch für Umgangsrechtsverfahren in § 155 FamFG das Vorrang- und Beschleunigungsgebot statuiert hat. Hierzu gehört, dass das Gericht spätestens einen Monat nach Beginn des Verfahrens einen Termin zur mündlichen Anhörung bestimmen muss. Maßgeblich für die Verfahrenseinleitung ist die Einreichung eines Antrags bzw. die Anregung zur gerichtlichen Entscheidung.[838] Ausreichend ist, dass für das beabsichtigte Verfahren um die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nachgesucht wird.[839] Lediglich in Ausnahmefällen und nach einzelfallbezogener Prüfung darf diese Zeitgrenze überschritten werden.[840] Dieses nunmehr ausdrücklich gesetzlich verankerte Vorgehen korrespondiert mit der hierzu bestehenden ständigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG folgende Recht auf Justizgewährung in seiner Ausprägung als Anspruch auf effektiven Rechtsschutz es gebietet, dass streitige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden. Jeweils einzelfallbezogen ist zu prüfen, ob eine Verfahrensdauer in diesem Sinn unangemessen lang ist,[841] wobei in Umgangsrechtsverfahren auch gewichtig auf das kindliche Zeitempfinden abzustellen ist.[842] Ein zwischen der beantragten gerichtlichen Regelung eines Umgangskontaktes und dem Beschluss zur Einholung eines Sachverständigengutachtens liegender Zeitraum von über einem Jahr überschreitet definitiv den hinzunehmenden Zeitrahmen (zur Beschleunigungsrüge und -beschwerde siehe § 9 Rdn 84).

[829] EuGHMR NJWE-FER 2001, 202.
[830] Siehe zum Ganzen Völker, FPR 2008, 287 mit tabellarischer Übersicht möglicher Befangenheitsgründe.
[833] OLG Celle FamRZ 2011, 108 zur Akteneinsicht der Pflegeeltern und der damit verbundenen Kenntniserlangung zu Informationen aus dem Privatleben eines Elternteils.
[834] BayObLG FamRZ 1998, 1240; OLG Düsseldorf FF 2001, 105.
[835] OLG Brandenburg FamRZ 2002, 621; OLG Düsseldorf FF 2001, 105.
[836] OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 46; vgl. zu diesem Aspekt auch BVerfG FamRZ 2004, 689.
[837] OLG Karlsruhe FamRZ 1994, 46; AG Düsseldorf FamRZ 1995, 498.
[838] Kemper/Schreiber/Völker/Clausius/Wagner, § 155 Rn 7.
[839] BT-Drucks 16/6308, S. 236.
[840] Kemper/Schreiber/Völker/Clausius/Wagner, § 155 Rn 7.
[841] EuGHMR NJWE-FER 2001, 202; BVerfG FamRZ 2008, 2258.

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