Rz. 1

Neben dem Sorgerecht steht das Umgangsrecht als selbstständige Rechtsposition.[1] Die Bedeutung des Umgangsrechts leitet sich daraus ab, dass im Zusammenhang mit der Trennung der Eltern für einen Elternteil die bisherige Lebensgemeinschaft – die Familie – in der Regel zu einer bloßen Begegnungsgemeinschaft wird, so dass nur noch gelegentliche Besuche des Kindes stattfinden werden.[2]

 

Rz. 2

Ebenso wie die elterliche Sorge wurzelt das Umgangsrecht im Elternrecht und genießt daher gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG Verfassungsrang;[3] ferner ist es menschenrechtlich in Art. 8 Abs. 1 EMRK eigenständig verankert.[4] Dementsprechend wird einfachrechtlich das Umgangsbestimmungsrecht des sorgeberechtigten Elternteils aus § 1632 Abs. 2 BGB (siehe dazu § 4 Rdn 16 ff.) durch das Umgangsrecht des anderen Elternteils aus § 1684 Abs. 1 BGB und eine auf dieser Grundlage nach § 1684 Abs. 3 BGB getroffene gerichtliche Entscheidung eingeschränkt.[5] Dies gilt gleichermaßen für das Umgangsrecht des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters aus § 1686a BGB und bezüglich Dritter, die ein Umgangsrecht nach § 1685 BGB haben (siehe dazu eingehend § 4 Rdn 16).

 

Rz. 3

Die in Art. 8 EMRK verbriefte Achtung des Familienlebens gebietet es, dass der Vater auch dann nicht grundsätzlich von der elterlichen Sorge und insbesondere dem Umgangsrecht ausgeschlossen werden darf, wenn das Kind seit dem Säuglingsalter in einer Pflegefamilie lebt und die unverheiratete Mutter bereits unmittelbar nach der Geburt des Kindes dessen Adoption zugestimmt hat.[6]

 

Rz. 4

In dem Spannungsfeld zwischen Elternrechten und der Position des Kindes haben die Interessen des Kindes Vorrang. Denn sie sind allüberstrahlend und letztentscheidend.[7] Jede Entscheidung zum Umgangsrecht muss daher am Wohl des Kindes ausgerichtet sein.[8] Dabei wird davon ausgegangen, dass das Umgangsrecht für die Kindesentwicklung herausragende Bedeutung hat, seinem Wohl dient und daher im Interesse beider Elternteile liegt.[9]

 

Rz. 5

Das Umgangsrecht ist vom Alter des Kindes unabhängig. Es steht auch dem Elternteil eines Säuglings oder Kleinkindes – und umgekehrt diesem selbst – zu, wobei in dieser Altersphase die Vorbeugung einer Entfremdung hohe Priorität hat.[10] Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Anhörung eines Kindes, um seine Bindungen zu beiden Elternteilen feststellen zu können. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung kann sich das Gericht zu diesem Zweck auch schon von einem unter dreijährigen Kind einen persönlichen Eindruck verschaffen.[11] Ab dem dritten Lebensjahr eines Kindes ist ohnehin von Verfassungs wegen seine persönliche Anhörung durch das Gericht grundsätzlich geboten (siehe auch Rdn 103 ff. und § 1 Rdn 304 f.).[12]

[1] BVerfG FamRZ 1989, 1159; Oelkers, FuR 2002, 492.
[2] Rohmann, FF 2002, 8.
[3] BVerfG FamRZ 2015, 1093; 2007, 105; BGH FamRZ 1994, 158; zur Kammerrechtsprechung des BVerfG in den Jahren 2008–2010 Zuck, FamRZ 2010, 1946.
[4] EuGHMR FamRZ 2015, 469; 2001, 341; Lenz, FF 2001, 190; Frohn, Ergänzungspflegschaft zur Regelung des Umgangs?, FF 2016, 240.
[5] BGH FamRZ 2008, 592; OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 1042.
[6] EuGHMR FamRZ 2004, 1456; BVerfG FamRZ 2005, 1233.
[7] Vgl. BVerfGE 56, 363; BVerfG FuR 2008, 338.
[8] BVerfG FamRZ 1999, 85; BGH FamRZ 1994, 158.
[9] OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.11.2010 – 9 UF 70/10 (n.v.); OLG Thüringen FuR 2000, 121; OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 184.
[10] BVerfG FamRZ 2010, 717; OLG Karlsruhe FamRZ 1992, 58.
[11] BVerfG FamRZ 2007, 105; Anm. Motzer, FamRB 2007, 73.
[12] BVerfG FamRZ 2007, 1078; Anm. Völker, FamRB 2007, 234.

I. Zweck des Umgangsrechts

 

Rz. 6

Durch das Umgangsrecht soll der nicht betreuende Elternteil die Möglichkeit erhalten, sich fortlaufend durch Begegnungen und gegenseitige Aussprache von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung einen persönlichen Eindruck zu verschaffen.[13] Auf diesem Weg werden gleichzeitig die verwandtschaftlichen und emotionalen Bindungen aufrechterhalten und vertieft, so dass einer ansonsten drohenden wechselseitigen Entfremdung entgegen gewirkt werden kann. Zudem sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass es für den Fall des Ausfalls des betreuenden Elternteils regelmäßig dem Kindeswohl entspricht, dass der andere Elternteil die Betreuung übernimmt. Diese Erwägungen gelten unabhängig davon, ob ein Elternteil von der Personensorge ausgeschlossen ist oder die Elternteile gemeinsam sorgeberechtigt sind, das Kind sich aber grundsätzlich in der Obhut eines Elternteils befindet.[14]

 

Rz. 7

Im Gegenzug dient das Umgangsrecht aber auch dazu, dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich ein auf persönlichen Erfahrungen beruhendes Bild von dem nicht betreuenden Elternteil und dessen Ansichten zu machen.[15] Für eine gedeihliche seelische Entwicklung des Kindes und die psychische Verarbeitung der Familienauflösung ist es von essentieller Bedeutung, dass das Kind nicht nur den betreuenden Elternteil als Bindungspartner hat, sondern auch zum anderen Elternteil die Beziehung so gut wie möglich auf...

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