Rz. 144

Der Rechtsanwalt muss den Mandanten über alle Möglichkeiten einer rechtlichen Aktion oder Reaktion im Hinblick auf das streitige Rechtsverhältnis beraten und dabei jeweils den Stand der Gesetzgebung und Rechtsprechung voll umfänglich berücksichtigen.

 

Rz. 145

Der Anwaltsvertrag verpflichtet den Rechtsanwalt, die Interessen seines Mandanten in jeder Richtung umfassend wahrzunehmen und sich so zu verhalten, dass Schädigungen des Mandanten möglichst vermieden werden.[184] Diese Verpflichtung besteht allerdings grundsätzlich nur in den Grenzen des erteilten Mandats.[185] Der Rechtsanwalt muss aber vor Gefahren, die ihm bekannt oder für ihn offenkundig sind, den Mandanten auch bei einem eingeschränkten Mandat warnen,[186] wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sich der Mandant der ihm drohenden Nachteile nicht bewusst ist. Der Rechtsanwalt muss den Mandanten auf bereits erkennbare Gefahren hinweisen, welche aus der Beendigung der anwaltlichen Tätigkeit drohen.[187]

 

Rz. 146

Dies setzt zunächst voraus, dass der Rechtsanwalt seiner Aufklärungspflicht nachkommt und alle für die rechtliche Beurteilung des Lebenssachverhaltes wesentlichen Gesichtspunkte von dem Mandanten erfragt. Der Rechtsanwalt muss daher auch nahe liegende Problemfelder abfragen. Kommt der Mandant hier seiner Mitwirkungspflicht nicht nach, kann dies allerdings nicht zulasten des Rechtsanwaltes Berücksichtigung finden.

Den Rechtsanwalt trifft grundsätzlich eine Pflicht zur Ermittlung des Beratungsbedarfs. Soweit sich der Rechtsanwalt dabei der Hilfsmittel auf seiner Homepage bedient, setzt er sich Haftungsrisiken aus. Bietet er an "Ehescheidungen ohne Anwaltsbesuch durchzuführen" und stellt zur Erfassung des Sachverhalts lediglich ein Onlineformular ein, sieht das LG Berlin darin einen Verstoß gegen die Pflicht zur Ermittlung des Beratungsbedarfs.[188]

 

Rz. 147

Aus der Aufklärungspflicht folgt dann die Rechtsprüfungs- und Rechtsberatungspflicht. Der Rechtsanwalt muss den geklärten Sach- und Streitstand unter Berücksichtigung von Darlegungs- und Beweislasten anhand der neusten Rechtsprechung und Literatur prüfen. Jeder Rechtsirrtum stellt dabei grundsätzlich einen Haftungsfall für den Rechtsanwalt dar.

 

Rz. 148

Aus der Klärung des Sach- und Streitstandes und dem Ergebnis der Rechtsprüfung ergibt sich dann die Verpflichtung, den Mandanten über das Prozess- und das Kostenrisiko zu belehren. Die Beratung über das Kostenrisiko umfasst dabei auch die Beratung über die Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe und taktische Möglichkeiten der Kostenreduzierung und -vermeidung.

 

Rz. 149

In jeder Lage des Verfahrens hat der Rechtsanwalt den Mandanten über Prozessrisiken aufzuklären. Dabei muss der Rechtsanwalt die einmal vorgenommene Risikoanalyse stetig überprüfen. Die Rechtsprüfungs- und Rechtsberatungspflicht ist daher kein einmaliger Vorgang, sondern ein fortlaufender Prozess, der das gerichtliche Streitverfahren begleitet und in einer Wechselwirkung zum Verhalten und Vortrag des Gegners steht.

 

Rz. 150

Die Prozessführung und die diesbezügliche Beratung haben sich dabei am Grundsatz des sichersten Weges zu orientieren, d.h. der Rechtsanwalt hat den Weg zu wählen, der den Mandanten am sichersten zur Realisierung seines Zieles führt. Insbesondere unter mehreren möglichen Vorgehensweisen ist diejenige zu wählen, die am sichersten zum gewünschten Ziel führt, unter den gleich sicheren Wegen ist der schnellste und kostengünstigste zu wählen. Der Mandant ist über die möglichen Risiken aufzuklären, damit er eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Zweifel und Bedenken müssen mit dem Mandanten erörtert werden.[189] Sind bei der Beratung Kenntnisse ausländischen Rechts anzuwenden, hat sich der Rechtsanwalt Kenntnisse von einschlägigen Gesetzen zu verschaffen und über den Stand der Rechtsprechung zu informieren.[190]

Der Rechtsanwalt hat sich bei der Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren. Den Rechtsanwalt trifft jedoch keine Beratungspflicht zu den wirtschaftlichen Fragen vor Abschluss eines Vergleichs.[191] Ist die Rechtsfrage noch nicht Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewesen, handelt der Rechtsanwalt nicht schuldhaft, wenn er sich für einen von mehreren Lösungswegen entscheidet.[192]

Schlägt das Gericht einen Vergleich vor, ist dies bei der Beratung ein wichtiger Faktor.[193] Rät das Gericht zur Rücknahme des Rechtsmittels, muss der Rechtsanwalt seinen Mandanten erst über die gegen die Auffassung des Gerichts sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte aufklären.[194]

 

Rz. 151

Der Umfang der Beratungspflicht ist allerdings in jedem Einzelfall anhand des tatsächlich erteilten Auftrages und der zu entfaltenden Tätigkeit des Rechtsanwaltes zu messen.[195] Ist der Mandant selbst eine Rechtsanwaltsgesellschaft, führt dies nicht zu einer Haftungserleichterung, die Beratungspflichten sind gleich zu beurteilen wie gegenüber einem nichtanwaltlichen Mandanten.[196] Gerade deshalb ist es erford...

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