Rz. 1

Der Versorgungsausgleich gehört zu den unbeliebtesten Rechtsgebieten, mit denen sich ein ­Anwalt in Familiensachen zu befassen hat. Das liegt an dem "magischen Dreieck" des Versorgungsausgleichs: eine komplexe Rechtslage – siehe nur die Formulierungen der §§ 18, 39 ff., 51 VersAuslgG – trifft zusammen mit niedrigen Gebühren (vgl. § 50 FamGKG) auf der einen Seite und einem enorm hohen Haftungsrisiko auf der anderen Seite. So nimmt etwa der BGH an, dass en Rechtsanwalt den in der Übertragung von Rentenanwartschaften liegende Schaden durch Zahlung desjenigen Betrages an den Versicherer auszugleichen hat, der erforderlich ist, um entsprechende Anwartschaften neu zu begründen, wenn er den Abschluss einer Scheidungsfolgenvereinbarung über den Ausschluss von Ansprüchen auf Versorgungsausgleich schuldhaft unterlässt.[1] Das Gleiche gilt, wenn ein gebotener Ausgleich nicht vorgenommen wird. Insoweit ist dann der Umfang der Haftung in den Focus zu rücken: Berücksichtigt man, dass ein Rentenanspruch i.H.v. 100,00 EUR in der gesetzlichen Rentenversicherung einen Kapitalwert von mehr als 24.000,00 EUR hat, dann wird schnell klar, dass hier ein ganz enormes Haftungsrisiko gegeben ist.

 

Rz. 2

Gleichwohl wird dem Versorgungsausgleich in der anwaltlichen Praxis in vielen Fällen nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die unter Berücksichtigung dieser Haftungslage geboten wäre. Das hat viele Gründe: Zum einen bedeutet eine Auseinandersetzung mit dem Versorgungsausgleich immer auch die Auseinandersetzung mit vielen anderen Rechtsgebieten, die dem Familienrechtler oft wenig vertraut sind, wie dem Sozialversicherungsrecht, dem Beamtenversorgungsrecht, dem Privatversicherungsrecht und dem Betriebsrentenrecht. Insoweit sind nicht nur die Berechnungen über die Höhe der Versorgung nachzuvollziehen, sondern es muss auch geklärt werden, ob dem eigenen Mandanten der Erwerb eines bestimmten Anrechts überhaupt nutzt. Diese Überlegungen waren nach dem früheren Recht jedenfalls auf Seiten des Ausgleichsberechtigten nur ausnahmsweise anzustellen, denn ausgeglichen wurde immer über die gesetzliche Rentenversicherung.

 

Rz. 3

 

Beispiel

M ist Zahnarzt. Die Satzung seines Versorgungswerks sieht vor, dass das Invaliditätsrisiko, das Altersrisiko und das Todesfallrisiko durch Gewährung einer Invaliditätsrente, einer Altersrente und einer Hinterbliebenenrente abgesichert werden. Außerdem ist für den Fall des Versorgungsausgleichs die Realteilung der Anrechte in Bezug auf alle Risiken vorgesehen, so dass die Frau des M im Fall der Scheidung durch die übertragenen Anrechte ebenfalls gegen alle der genannten Risiken abgesichert ist. Ob der F die Übertragung des Anrechts aber tatsächlich eine Invaliditätsabsicherung bringt, hängt von den Voraussetzungen ab, unter denen die Invaliditätsversorgung durch das Versorgungswerk geleistet wird. Sieht die Satzung des Versorgungsträgers vor, dass eine Invaliditätsrente nur an den Zahnarzt gezahlt wird, der nicht mehr in der Praxis "am Stuhl" behandeln kann (wie in manchen Satzungen der Zahnärzteversorgung vorgesehen), dann hat die Frau im Versorgungsausgleich ein Anrecht erworben, aus dem sie im Invaliditätsfall nie Leistungen erlangen kann, wenn sie nicht selbst Zahnärztin ist, weil sie die Voraussetzungen des Leistungsbezugs nicht erfüllen kann. In diesem Fall obliegt es dem Anwalt zu prüfen, ob dieser Ausgleich nicht dadurch verändert werden kann, dass eine Vereinbarung getroffen wird, die zu einer anderen Art des Ausgleichs führt.

 

Rz. 4

Parallele Erwägungen sind auf Seiten des Ausgleichspflichtigen anzustellen. Hier ist zu ermitteln, ob er durch den (teilweisen) Wegfall eines Anrechts ggf. besonders wirtschaftlich betroffen wird und – falls das bejaht wird – wie man diese Folge vermeiden kann.

 

Rz. 5

 

Beispiel

M ist Beamter, seine Frau Angestellte im öffentlichen Dienst. Wird der Versorgungsausgleich so durchgeführt, wie im Gesetz vorgesehen, dann verliert M die Hälfte der in der Ehezeit erworbenen Beamtenversorgung und erhält im Gegenzug die Hälfte der in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das ist für ihn nachteilig, weil er ggf. die Mindestwartezeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfüllen kann (betrifft vor allem den Invaliditätsfall wegen der Anknüpfung an Beitragszeiten aus den letzten fünf Jahren vor dem Eintritt der Invalidität) oder aber erst durch eigene Beitragsleistungen die Voraussetzungen für den Leistungsbezug schaffen muss (betrifft vor allem die 60-Monatsgrenze bei der Altersrente). Weitere Nachteile können sich daraus ergeben, dass wegen des Erwerbs von Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung Versorgungsansprüche in der Beamtenversorgung ruhend gestellt werden und dass die Dynamik der Beamtenversorgung eine wesentlich größere ist als die Dynamik in der gesetzlichen Rentenversicherung. Den anwaltlichen Berater trifft in diesen Fällen ein haftungsrelevantes Verschulden, wenn er nicht alles tut, um dem M seine Beamtenversorgung zu erh...

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