Rz. 189

Da es soweit ersichtlich nur eine Entscheidung des 1. Senats[210] gibt, die sich – vom Sonderfall der durch Vereinbarung nach § 3 BetrVG geschaffenen Betriebsstrukturen abgesehen – ausdrücklich mit dem Schicksal von Betriebsvereinbarungen bei unternehmensinternen Umstrukturierungen befasst, ist unklar, ob das BAG auch bei unternehmensinternen Umstrukturierungen die Identitätswahrung als maßgebliches Kriterium für die Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen erachten würde.

 

Rz. 190

Dagegen könnte sprechen, dass in der einzigen Entscheidung des BAG zur Weitergeltung einer Betriebsvereinbarung bei einer unternehmensinternen Umstrukturierung (jenseits von § 3 BetrVG) der Begriff der Betriebsidentität nicht einmal vorkommt. Die Entscheidung betraf eine Betriebsstilllegung, in deren Folge einzelne Beschäftigte des stillgelegten Betriebs in anderen Betrieben des Unternehmens weiterbeschäftigt wurden. Das BAG kommt zu dem Ergebnis, dass der im Hinblick auf die Betriebsstilllegung abgeschlossene Sozialplan auch nach der Betriebsstilllegung und der Versetzung in einen anderen Betrieb für die versetzten Beschäftigten dort normativ weitergilt. Hierzu führt es aus: "Durch die Betriebsstillegung verliert der Sozialplan nämlich nicht seinen kollektivrechtlichen Charakter. Seine fortgeltenden Regelungen wirken weiterhin normativ auf die Arbeitsverhältnisse der betreffenden Arbeitnehmer ein. Sie werden mit der Übernahme dieser Arbeitnehmer in einen anderen Betrieb des Arbeitgebers zum Bestandteil der kollektiven Normenordnung dieses Betriebes. Sie ordnen einen Ausschnitt der Arbeitsbedingungen kollektiv für die Gruppe der von dem stillgelegten Betrieb übernommenen Belegschaftsmitglieder und bilden damit eine normative Teilordnung des aufnehmenden Betriebes."[211]

 

Rz. 191

Auf diese Entscheidung nimmt das BAG mehr als 20 Jahre später mit den Worten Bezug: "So können – u.a. – Regelungen in Sozialplänen in ihrer normativen Wirkung die Betriebszugehörigkeit überdauern […]. Bleiben etwa die Belegschaft eines Betriebs oder Teile derselben in den Diensten des bisherigen Arbeitgebers und werden lediglich in einen anderen Betrieb übernommen, verliert der Sozialplan für diese Arbeitnehmer nicht seine normative Wirkung (vgl. BAG 24.3.1981 – 1 AZR 805/78). Dem stehen die Entscheidungen des BAG vom 1.4.1987 und vom 18.9.2002 nicht entgegen. Sie betrafen Fälle des Betriebsübergangs. Dort liegt es nahe, dass die Betriebsparteien – in Fällen fehlender Betriebsidentität – den neuen Arbeitgeber nicht mit normativer Wirkung binden können."[212]

 

Rz. 192

Diese Ausführungen könnten dafür sprechen, dass das BAG nur bei Betriebsübergängen, bei denen es um die Frage geht, ob ein anderer Arbeitgeber (der Erwerber) an die beim Veräußerer geltenden Betriebsvereinbarungen normativ gebunden ist, die Wahrung der Betriebsidentität für erforderlich hält und bei unternehmensinternen Umstrukturierungen, bei denen der Arbeitgeber derselbe bleibt, nicht.

 

Rz. 193

Allerdings betrifft die Entscheidung vom 24.3.1981 eine Sonderkonstellation, nämlich einen im Hinblick auf die Umstrukturierung abgeschlossenen Sozialplan. Das zeigen auch die weiteren Ausführungen des BAG in dieser Entscheidung, soweit es dort heißt: "Es widerspräche nicht nur dem Wesen des Sozialplans als eines kollektivrechtlichen Normenvertrages, sondern auch dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes, der der den Betriebspartnern vom Gesetz eingeräumten betrieblichen Normensetzungsbefugnis zugrunde liegt, wollte man die Regelungen des Sozialplans nach erfolgter Betriebsstillegung ohne zwingenden Grund der einzelvertraglichen Disposition unterwerfen".[213]

 

Rz. 194

Es ist durchaus naheliegend – und auch in der Literatur vertreten[214] – dass für einen Sozialplan besondere Maßstäbe gelten. Zudem hat das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 ausdrücklich offengelassen, ob die in der Sozialplanentscheidung vom 24.3.1981 angenommene normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen "auch für Betriebsvereinbarungen gilt, die nicht die gerade mit einer Betriebsänderung verbundenen Folgen regeln".[215]

 

Rz. 195

Gegen die Annahme, dass auch in Bezug auf andere Betriebsvereinbarungen als Sozialpläne die Wahrung der Betriebsidentität für die Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen bei unternehmensinternen Umstrukturierungen entbehrlich ist, spricht die Entscheidung vom 25.4.2017.[216] Unabhängig von der Frage, wie diese hinsichtlich der Kriterien für eine Identitätswahrung zu verstehen ist,[217] nennt das BAG auch in dieser Entscheidung die Wahrung der Betriebsidentität als entscheidendes Kriterium für die Weitergeltung der Betriebsvereinbarung. Auch wenn diese Entscheidung streng genommen keine unternehmensinterne Umstrukturierung betraf, sondern die Auflösung ­eines gemeinsamen Betriebs, wäre auch bei dieser Konstellation nicht ein "neuer Ar­beitgeber" an von einem anderen Arbeitgeber abgeschlossene Betriebsvereinbarungen gebunden, sondern der Arbeitgeber, der im Rahmen des Gemeinschaftsbetriebs die Betrieb...

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