Rz. 198

In der Literatur werden zu der Frage der Auswirkung von Umstrukturierungen auf die Geltung der Betriebsvereinbarungen unterschiedliche theoretische Ansätze vertreten, die allerdings teilweise zu gleichen Ergebnissen führen.

 

Rz. 199

Schwierigkeiten bereitet der Umstand, dass in der Literatur nicht immer (ausdrücklich) auf einen (einheitlichen) dogmatischen Anknüpfungspunkt bei der Behandlung der möglichen Konstellationen abgestellt wird und sich zudem viele Autorinnen und Autoren nur auf einen Teilbereich der möglichen Fallkonstellationen beziehen. Veröffentlichungen, die sich auf der Basis einer dogmatischen Herleitung umfassend mit der Gesamtheit der Fallkonstellationen befassen (unternehmensintern, unternehmensübergreifend mit und ohne Betriebsübergang), existieren kaum.

 

Rz. 200

Zudem scheinen teilweise – zumindest vordergründig – unterschiedliche Kriterien für Umstrukturierungen ohne Betriebsübergang und solche mit Betriebsübergang angewendet zu werden, ohne dies jedoch zu thematisieren.

 

Rz. 201

Auch in der Literatur wird nicht selten die Wahrung der Betriebsidentität als wesentliches Kriterium für die Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen – auch bei unternehmensinternen Umstrukturierungen – genannt.[220] Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Verständnisses, ab welchem Maß der Veränderung von einem Identitätsverlust auszugehen ist, so dass auch die in Bezug auf die konkreten Fallkonstellationen von den Vertretern der "Identitätstheorie" angenommenen Lösungen erheblich differieren.

 

Rz. 202

Unabhängig davon, ob die Identitätswahrung als relevantes Kriterium angesehen wird, besteht in der Literatur im Ergebnis dahingehend Einigkeit, dass in den Fällen, in denen die Identität des Betriebs derart gewahrt bleibt, dass der Betriebsrat sein Regelmandat behält, die Betriebsvereinbarungen normativ weitergelten. Ob es darüber hinaus Fälle gibt, in denen eine normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen anzunehmen ist, ist umstritten.

 

Rz. 203

Insbesondere Hohenstatt[221] und Maschmann[222] vertreten eine "strenge Identitätslehre" und legen für die (normative) Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen dieselben Maßstäbe an wie für den Erhalt des Regelmandats des Betriebsrats. Sie gehen daher z.B. bei Spaltungen von einer Beendigung der (normativen) Wirkung der Betriebsvereinbarungen aus, da diese zu einem Verlust der Identität im engeren Sinne führen und sie eine Teilidentität nicht für ausreichend halten. Demgegenüber führen Spaltungsvorgänge als solche nach Bachner[223] und Kreft,[224] die terminologisch ebenfalls die Identitätslehre vertreten, nicht zu einem Wegfall der (normativen) Wirkung der Betriebsvereinbarungen.

 

Rz. 204

Die h.M. in der Literatur beschränkt die normative Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen nicht auf die Fälle der (engen) Identitätswahrung, sondern kommt in weiteren Fällen zu dem Ergebnis, dass Betriebsvereinbarungen (normativ) weitergelten:

 

Rz. 205

Nach Kreft[225] kommt zwar eine normative Weitergeltung der Betriebsvereinbarungen nur in Betracht, wenn der Betrieb seine Identität wahrt, er hat jedoch ein weites Verständnis von Identitätswahrung. Es genüge, wenn bei Spaltungsvorgängen die entstehende betriebliche Einheit teilidentisch ist mit dem ursprünglichen Betrieb, die Kriterien eines Betriebsteils erfüllt und selbstständig geführt wird.[226] Dabei schließt Kreft zumindest nicht aus, dass unter selbstständiger Führung nicht nur die Fortführung eines Betriebsteils als eigenständiger Betrieb zu verstehen ist, sondern auch die Fortführung als organisatorisch relativ eigenständigen Betriebsteil innerhalb eines Betriebs.[227]

 

Rz. 206

Kreutz[228] hält die Betriebsidentität nicht für ein taugliches Differenzierungskriterium. Bei nahezu allen Formen der unternehmensinternen Umstrukturierung entstünden neue Leitungsstrukturen und da der Leitungsapparat wesentliches Merkmal des Betriebsbegriffs sei, ginge nahezu jede unternehmensinterne Umstrukturierung, insbesondere jede Spaltung oder Zusammenlegung, mit einem Identitätsverlust einher.[229] Deshalb sei darauf abzustellen, dass Betriebsvereinbarungen nur wegen Zweckerreichung bei Wegfall ihrer Gestaltungsaufgaben endeten, soweit sie gegenstandslos würden.[230] Bei unternehmensinternen Umstrukturierungen komme es hierzu grundsätzlich nicht, so dass nach Kreutz bei unternehmensinternen Umstrukturierungen in aller Regel die Betriebsvereinbarungen weitergelten. Dieses Ergebnis sieht Kreutz durch die Einführung des Übergangsmandats in § 21a BetrVG bestätigt.[231] Immer dann, wenn (nach der von ihm vertretenen Auffassung) gem. § 21a BetrVG ein Übergangsmandat besteht, geht Kreutz aufgrund der dadurch vermittelten Amtskontinuität von einer Weitergeltung aller in den beteiligten Teileinheiten zuvor geltenden Betriebsvereinbarungen aus, und zwar sowohl bei unternehmensinternen Umstrukturierungen, als auch bei Umstrukturierungen mit Betriebsinhaberwechsel. Die normative Weitergeltung erstreckt sich dabei nach seiner Auffassung ...

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