Rz. 158

Maßgebliches Kriterium für die Frage der (normativen) Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen im Rahmen von Umstrukturierungen mit Betriebsinhaberwechsel ist nach der Rechtsprechung des BAG die Wahrung der Identität des Betriebs. Nur im Falle der Identitätswahrung gelten die Betriebsvereinbarungen normativ beim Erwerber weiter; verliert der Betrieb seine Identität, endet die normative Geltung der abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen.[182]

 

Rz. 159

Welcher Identitätsbegriff in diesem Zusammenhang gilt und vor allem nach welchen Kriterien bestimmt wird, ob die Identität eines Betriebs gewahrt bleibt oder der Betrieb seine Identität im Rahmen einer Umstrukturierung verliert, ist allerdings in der Rechtsprechung noch recht unscharf.

 

Rz. 160

Es ist dem Grundsatz nach davon auszugehen, dass nicht der nach der Rechtsprechung des EuGH und des BAG sehr weite Betriebs(identitäts)begriff des § 613a BGB gelten kann.[183] Andernfalls stellte sich die Frage, welchen Anwendungsbereich § 613a Abs. 1 S. 2 BGB – zumindest im Bereich des Betriebsteilübergangs – noch hätte. Entweder es läge ein identitätswahrender Betriebsteilübergang vor, dann gälten die Betriebsvereinbarungen normativ weiter und der nur als Auffangtatbestand verstandene[184] § 613a Abs. 1 S. 2 BGB griffe aus diesem Grund nicht, oder es läge ein Identitätsverlust des Betriebsteils vor, dann läge in der Sache bereits kein Betriebsteilübergang vor und der Anwendungsbereich des § 613a BGB wäre aus diesem Grund nicht eröffnet.

 

Rz. 161

Auch das Schicksal des Betriebsrats bei Umstrukturierungen, also insbesondere die Frage, ob ein Betriebsrat bei einer Umstrukturierung sein Regelmandat behält oder ob er dieses verliert und nur noch ein Übergangsmandat gem. § 21a BetrVG innehat, hängt nach allgemeiner Auffassung[185] davon ab, ob der Betrieb im Zuge der Umstrukturierung seine Identität wahrt oder verliert.

 

Rz. 162

Der 1. Senat des BAG scheint jedoch – allerdings ohne dies zu thematisieren – für das Schicksal von Betriebsvereinbarungen im Zusammenhang mit Umstrukturierungen nicht auf den (engeren) Identitätsbegriff bzw. das Konzept von Identitätswahrung und Identitätsverlust abzustellen, das für das Schicksal des Betriebsratsmandats entwickelt wurde. Denn er kommt bei Konstellationen, in denen nach allgemeiner Auffassung wegen Verlust der Betriebsidentität der Betriebsrat nur ein Übergangsmandat innehat, zu dem Ergebnis, dass die Betriebsvereinbarungen normativ weitergelten können.

 

Rz. 163

So geht das BAG in inzwischen gefestigter Rechtsprechung davon aus, dass bei Betriebsteilübergängen eine normative Weitergeltung der für den Ursprungsbetrieb geltenden Betriebsvereinbarungen und auch einer betrieblichen Vergütungsordnung in Betracht kommt.[186] Einem Betriebsteilübergang geht jedoch denknotwendig eine Betriebsspaltung beim Veräußerer voraus – durch diese Betriebsspaltung entsteht der zu übertragende Betriebsteil überhaupt erst.

 

Rz. 164

In einer der zentralen höchstrichterlichen Entscheidungen[187] zur Weitergeltung von (Gesamt)Betriebsvereinbarungen kommt der 1. Senat zu dem Ergebnis, dass die (Gesamt)Betriebsvereinbarungen des Veräußerers im übertragenen Betriebsteil beim Erwerber normativ weitergelten und führt hierzu aus: "Der Betrieb wurde lediglich aufgespalten".[188]

 

Rz. 165

Eine Betriebsaufspaltung führt jedoch nach allgemeiner Auffassung zu einem das Regelmandat des Betriebsrats beendenden und das Übergangsmandat auslösenden Verlust der Identität im engeren Sinne.[189] Der zu übertragende Betriebsteil ist daher aufgrund der Aufspaltung bereits beim Veräußerer zumindest nicht mehr vollständig identisch mit dem Ursprungsbetrieb, in dem die (Gesamt)Betriebsvereinbarung ursprünglich galt. Dennoch geht das BAG von einer normativen Weitergeltung dieser (Gesamt)Betriebsvereinbarung aus.

 

Rz. 166

Hinzu kommt, dass das BAG in der Entscheidung vom 18.9.2002 die Weitergeltung der (Gesamt)Betriebsvereinbarung mit dem Entstehen eines Übergangsmandats nach § 21a BetrVG begründet.[190] Die Entstehung eines Übergangsmandats setzt jedoch gerade den Verlust der Betriebsidentität voraus.[191] Bleibt die Identität des Betriebs erhalten, behält der Betriebsrat sein Regelmandat und es besteht kein Bedarf für die Entstehung eines Übergangsmandats.[192]

 

Rz. 167

Die Entscheidung vom 18.9.2002[193] ist daher teilweise als "weitgehende Aufgabe der Identitätslehre" durch das BAG gewertet worden.[194]

 

Rz. 168

Dies scheint indes – zumindest aus Sicht des BAG – nicht zutreffend zu sein. Denn das BAG bekräftigt in derselben Entscheidung wiederholt, dass maßgebliche Voraussetzung für die normative Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen bei Betriebs(teil)übergängen die Wahrung der Betriebsidentität ist.[195] Es stellt auch in nachfolgenden Entscheidungen für die normative Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen darauf ab, ob ein identitätswahrender Betriebs(teil)übergang vorliegt oder nicht.[196]

 

Rz. 169

Es ist daher nicht anzunehmen, dass das BAG und speziell der 1. Senat die Identitätsleh...

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