Rz. 477

Die Frage nach der normativen Weitergeltung von Tarifverträgen stellt sich grundsätzlich nur bei Umstrukturierungen mit Betriebsinhaberwechsel, also wenn sich im Zuge der Umstrukturierung ein Wechsel in der Person des Arbeitgebers ergibt. Denn die unmittelbare und zwingende Geltung von Tarifverträgen knüpft an die Tarifgebundenheit der Arbeitsvertragsparteien an. Tarifverträge gelten anders als Betriebsvereinbarungen nicht kraft Betriebszugehörigkeit, sondern gem. § 4 Abs. 1 TVG für Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmern, die beiderseits tarifgebunden sind.

 

Rz. 478

Auch für die Auswirkung von Betriebsübergängen auf die Geltung von Tarifverträgen gilt nach der Rechtsprechung[538] und der h.M. in der Literatur[539] der Grundsatz, dass die in § 613a Abs. 1 S. 2 – 4 BGB gesetzlich normierte Transformation in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Beschäftigten lediglich als Auffanglösung zu verstehen ist, die nur eingreift, wenn die Tarifverträge nicht bereits normativ (weiter)gelten.

 

Rz. 479

Gilt also ein Tarifvertrag zwischen Arbeitsvertragsparteien, für die er vor der Umstrukturierung normativ galt, auch nach der Umstrukturierung normativ, ist für eine Transformation gem. § 613a BGB keine Notwendigkeit und kein Raum.

 

Rz. 480

Ein Tarifvertrag gilt für ein Arbeitsverhältnis gem. § 4 Abs. 1 TVG nur dann unmittelbar und zwingend, also normativ (weiter), wenn der Arbeitnehmer und der (neue) Arbeitgeber tarifgebunden sind oder wenn der Tarifvertrag gem. § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärt ist und das Arbeitsverhältnis in den Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt.

[539] WHSS/Hohenstatt, E Rn 93 und 103; KZDH/Bachner, § 99 Rn 1; Jacobs , NZA-Beil. 2009, 45; Boecken/­Spirolke, § 9 Rn 39.

a) Voraussetzungen für eine normative (Weiter)Geltung von Tarifverträgen

 

Rz. 481

Für die Frage, ob ein Tarifvertrag nach einer Umstrukturierung normativ (weiter-)gilt oder gem. § 613a BGB in die Arbeitsverhältnisse transformiert wird, ist zum einen zwischen Verbands- oder Firmentarifvertrag zu differenzieren und zum anderen danach, ob die Umstrukturierung mit einer Einzel- oder Gesamtrechtsnachfolge einhergeht.

aa) Verbandstarifvertrag

 

Rz. 482

Verbandstarifverträge sind Tarifverträge, die auf Arbeitgeberseite durch den Arbeitgeberverband abgeschlossen werden. Tarifvertragsparteien eines Verbandstarifvertrags sind also Gewerkschaft und Arbeitgeberverband. Dies gilt unabhängig davon, ob der Verbandstarifvertrag – wie in der überwiegenden Zahl der Fälle – für eine Vielzahl an Unternehmen gilt (sog. Flächentarifvertrag), oder ob der Geltungsbereich des Verbandstarifvertrags auf ein einzelnes Unternehmen beschränkt ist (sog. firmenbezogener Verbandstarifvertrag). Entscheidend für die Einordnung als Verbandstarifvertrag ist allein, wer den Tarifvertrag auf Arbeitgeberseite abschließt, nicht für wen er gilt.

(1) Einzelrechtsnachfolge

 

Rz. 483

Da der Arbeitgeber nicht selber Vertragspartei eines Verbandstarifvertrags ist, kann seine normative Bindung an einen Verbandstarifvertrag nur gem. § 3 Abs. 1 Alt. 1 TVG aus seiner Mitgliedschaft im tarifvertragschließenden Arbeitgeberverband[540] oder gem. § 5 TVG aus der Allgemeinverbindlichkeit des Verbandstarifvertrags resultieren.

 

Rz. 484

Die Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband ist nach einhelliger Meinung höchstpersönlicher Natur; sie ist daher nicht übertragbar und kann nicht im Wege der Einzelrechtsnachfolge auf den Betriebserwerber übergehen.[541]

 

Rz. 485

Das bedeutet, dass sich die (normative) Weitergeltung eines Tarifvertrags nach einem Betriebsübergang nur aus einer originären Tarifbindung des neuen Rechtsträgers nach den allgemeinen Grundsätzen ergeben kann.[542] Ein Verbandstarifvertrag gilt somit zwischen übergegangenem Arbeitnehmer und neuem Arbeitgeber normativ (weiter), wenn der Erwerber seinerseits Mitglied des tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbands ist oder der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt ist und das Arbeitsverhältnis/der Betrieb auch nach dem Betriebsübergang noch in den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt.[543]

[540] Unter Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband wird im Folgenden ausschließlich die Vollmitgliedschaft verstanden, nicht die sog. OT-Mitgliedschaft.
[541] WHSS/Hohenstatt, E Rn 94; Boecken/Spirolke, § 9 Rn 39.
[542] WHSS/Hohenstatt, E Rn 94; KZDH/Bachner, § 99 Rn 3; Boecken/Spirolke, § 9 Rn 39; Jacobs , NZA-Beil. 2009, 45, 46.
[543] WHSS/Hohenstatt, E Rn 94; Jacobs, NZA-Beil. 2009, 45, 46; KZDH/Bachner, § 99 Rn 3; jurisPK-BGB/Kliemt/Teusch , § 613a Rn 87.

(2) Gesamtrechtsnachfolge

 

Rz. 486

Da die Mitgliedschaft des Arbeitgebers im Arbeitgeberverband nach einhelliger Meinung höchstpersönlicher Natur ist, tritt der neue Rechtsträger auch nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Mitgliedschaft des bisherigen Rechtsträgers im Arbeitgeberverband ein.[544] Auch bei einer Gesamtrechtsnachfolge gilt daher, dass ein Verbandstarifvertrag nur dann normativ (weiter)gilt, wenn der neue Rechtsträger seiner...

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