Rz. 335

Gelten die Betriebsvereinbarungen des Ursprungsbetriebs nach dem bisher Gesagten nicht normativ weiter, greifen die Regelungen in § 613a Abs. 1 S. 2 – 4 BGB. Die durch die Betriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten werden in die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten transformiert (Satz 2), sofern nicht bei dem Erwerber eine Kollektivvereinbarung zu demselben Regelungsgegenstand besteht (Satz 3).

 

Rz. 336

Die Transformation gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB erfasst sowohl Betriebsvereinbarungen, die Gegenstände der zwingenden Mitbestimmung regeln, als auch freiwillige Betriebsvereinbarungen.[379] Auch Betriebsvereinbarungen, die sich bereits im Zeitpunkt des Betriebsübergangs nur noch in der Nachwirkung gem. § 77 Abs. 6 BetrVG befanden, werden in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Beschäftigten transformiert.[380] Im Stadium der Nachwirkung gilt eine Betriebsvereinbarung zwar nicht mehr zwingend, sie entfaltet aber noch immer unmittelbare Wirkung und damit normative Wirkung für die übergehenden Arbeitsverhältnisse.[381]

 

Rz. 337

Nicht transformiert werden Regelungsabreden, da diese lediglich schuldrecht­liche Verpflichtungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat auslösen und keine Rechte und Pflichten im Verhältnis zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern be­gründen.[382]

 

Rz. 338

Von der Transformationswirkung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB erfasst werden nach dem Wortlaut der Norm die Regelungen einer Betriebsvereinbarung, die Rechte und Pflichten der übergehenden Arbeitsverhältnisse regeln, also insbesondere die Inhaltsnormen sowie die Abschluss- und Beendigungsnormen der Betriebsvereinbarung.[383] Betriebsnormen bzw. betriebliche Normen unterfallen § 613a Abs. 1 S. 2 BGB nur, ­soweit sie ausnahmsweise Rechte und Pflichten im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer regeln.[384] Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung der entsprechenden Normen zu ermitteln. So dürfte beispielsweise eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit zumindest dann gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB fortwirken, wenn in ihr ein Wahlrecht der Beschäftigten hinsichtlich der Teilnahme an der gleitenden Arbeitszeit oder an einem Arbeitszeitkonto geregelt ist.[385]

 

Rz. 339

Ob die beim Veräußerer durch Betriebsvereinbarung geregelten Rechte und Pflichten bei der Transformation in die Arbeitsverhältnisse der übergehenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB ihren kollektivrechtlichen Charakter behalten oder zu Individualrecht werden, ist in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.[386] Früher ging die Rechtsprechung davon aus, dass die gem. § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierten Normen zu Individualrecht werden.[387] In Bezug auf tarifvertraglich geregelte Rechte und Pflichten geht die neuere Rechtsprechung seit der sehr ausführlich und überzeugend begründeten Entscheidung des 4. Senats vom 22.4.2009 davon aus, dass diese auch nach der Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BetrVG ihren kollektivrechtlichen Charakter behalten.[388] Es liegt nahe, dies auf Betriebsvereinbarungen zu übertragen.[389] Der 1. Senat ging allerdings noch in einer Entscheidung vom 13.3.2012[390] weiterhin davon aus, dass die Betriebsvereinbarungen nach der Transformation "individualrechtlich als Inhalt des Arbeitsverhältnisses" gälten.

 

Rz. 340

Unabhängig von der Einordnung der transformierten Betriebsvereinbarungsregelungen als kollektiv- oder individualrechtlich behandelt auch der 1. Senat des BAG sie im Rahmen der Auflösung etwaiger Kollisionen wie kollektivrechtliche Regelungen, indem er die Ablösung durch eine (auch verschlechternde) Betriebsvereinbarung beim Erwerber zulässt.[391]

 

Rz. 341

Die transformierten Betriebsvereinbarungen gelten nur für die Arbeitsverhältnisse der übergegangenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Für die Beschäftigten des Betriebs, die erst nach dem Betriebsübergang eingestellt werden, entfalten die nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB transformierten Betriebsvereinbarungen hingegen keine Wirkung.[392] Auch für bereits bestehende Arbeitsverhältnisse des Erwerbers gelten sie nicht. Die Transformation nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB dient der Sicherung des Status quo für die übergehenden Beschäftigten und kommt daher nur ihnen zugute.

 

Rz. 342

Dies verstößt nach h.M. auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Umstand, dass diese Beschäftigten einem anderen Betrieb und Arbeitgeber entstammen und im Wege eines Betriebsübergangs in die Dienste des Erwerbers eintraten, stellt ein hinreichendes sachliches Differenzierungskriterium sowohl gegenüber der "Ursprungsbelegschaft", als auch gegenüber später eingestellten Beschäftigten des Erwerbers dar.[393]

 

Rz. 343

Aus dem Zweck des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB, der Sicherung des Status quo, folgt außerdem, dass die Regelungen einer Betriebsvereinbarung mit dem Inhalt bzw. Stand Inhalt der Arbeitsverhältnisse werden, den sie im Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatten. Sie gelten also statisch in dem Zustand weiter, in dem sie sich bei Betriebsübergang befanden.[394] Das ...

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