Rz. 611a

Gemäß § 110 I 1 SGB VII hat der vorsätzlich oder grob fahrlässig Handelnde den SVT die infolge des Sozialversicherungsfalls entstandenen Aufwendungen zu ersetzen, jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs.

 

Rz. 611b

Die Berechnung der Anspruchshöhe vollzieht sich in 4 Schritten:[556]

Im ersten Schritt ist der fiktiv an den Verletzten zu erbringende Schadenersatzanspruch zu errechnen, den dieser hätte, wenn die Haftung nicht durch die §§ 104 ff. SGB VII ausgeschlossen wäre.
Ein etwaiges Mitverschulden des Verletzten ist zu berücksichtigen. Ebenso wirkt auch ein Anspruchsausschluss wegen Angehörigenprivileges anspruchskürzend zugunsten des Schädigers (insofern hätte nur der Verletzte selbst, nicht aber ein Drittleistungsträger, Geld erhalten).
Im Rahmen der Schadenersatzprüfung spielen Gutachten und andere Verwaltungskosten (da mittelbare Schäden des SVT) keine Rolle.
Der Verdienstausfall berechnet sich dabei nach dem Netto-Verdienstausfallschaden (Brutto-Einkommen, gekürzt um SV-Beiträge [AV, KV, PV, RV] und Steuern. Verwaltungskosten und Auslagen für Gutachten/Berichte sind der Berechnung der Schadensposten (Schadentopf Anspruch des AS) nicht hinzufügen, da hier kein Anspruch des Geschädigten besteht.[557]
Der so (ausschließlich am Schadenersatzrecht orientiert!) ermittelte fiktive Schadenersatzbetrag ("Geldtopf", Tonne 1) bildet die Obergrenze der Zahlungspflicht des Ersatzpflichtigen (bzw. Versicherer).
Im zweiten Schritt ist festzustellen, welche tatsächlichen Leistungen und Aufwendungen der SVT auf Grund des Unfalls bereits erbracht hat oder zu erbringen haben wird. Zu diesem Betrag kommen hinzu die konkreten Verfahrenskosten (wie Gutachten, Arztberichte), nicht aber anteilige eigene Verwaltungskosten. Diese entsprechen dem "Ausgabentopf" (Tonne 2).
Anschließend ist der aus der Berechnung zu Ziff. 2. errechnete Betrag von dem unter Ziff. 1. ermittelten abzuziehen. Soweit Geld im zuvor schadenrechtlich ermittelten Geldtopf (Tonne 1) enthalten ist, kann der SVT seine Aufwendungen ersetzt verlangen. Dabei dürfen auch grundsätzlich ersatzfähige Personenschadenposten (Schmerzensgeld) berücksichtigt werden, die den Leistungen der Sozialversicherung inkongruent sind.
Abschließend ist zu beachten, ob den UVT selbst ein Mitverschulden an der Entstehung des Schadens trifft, das ihm nach § 254 BGB entgegengehalten werden kann.[558]
 

Rz. 612

Der Personenschaden schließt ein angemessenes Schmerzensgeld ein. Das Schmerzensgeld ist anhand der bekannten Tabellen zu bemessen.[559] Maßgeblich ist der fiktive Anspruch des Geschädigten. Die Genugtuungsfunktion entfällt nicht deshalb, weil das Geld letztlich dem SVT zufließt.[560]

 

Rz. 613

Die Abhängigkeit von zivilrechtlichen Ansprüchen bedeutet, dass der Fahrzeugschaden nicht in die Begrenzung miteinbezogen werden kann. Hier besteht bereits kein Haftungsausschluss, dieser ist in §§ 104 ff. SGB VII auf Personenschadenansprüche beschränkt.

 

Rz. 614

Eigene Bearbeitungs- und Verwaltungskosten sind nicht zu erstatten; hier läuft auch kein Anspruch des Geschädigten parallel.[561] Für den SVT wären es bei einer vergleichbaren Rechtslagebetrachtung mittelbare Schäden gewesen, die bei Rechtslagehaftung außerhalb der Befreiung wegen Arbeitsunfalls vom Schädiger nicht zu ersetzen gewesen wären.

 

Rz. 615

 

Zum Thema

Siehe auch Jahnke, Unfalltod und Schadenersatz, 2. Aufl. 2012, Rn 807 ff.

 

Rz. 616

Abwicklung nach § 110 SGB X (2-Tonnen-Theorie)

 

Rz. 617

2-Tonnen-Theorie:

Eine Tonne (Tonne 1) wird – unabhängig von Kongruenzen – gefüllt mit denjenigen Beträgen (nach jeweiliger Fälligkeit), die der Schadenersatzpflichtige an den Verletzten bzw. den Hinterbliebenen zu zahlen gehabt hätte, bestünde kein Haftungsprivileg.
Die zweite Tonne (Tonne 2) stellt das Forderungsvolumen (Aufwendungen an verletzte Person oder – im Falle der Tötung – deren Hinterbliebene) der Sozialversicherer[562] dar. Diese zweite Tonne wird aus der ersten so lange gespeist, wie dort noch etwas vorhanden ist (ohne Kongruenzbetrachtung).
 

Rz. 618

Problematisch ist die Situation, wenn nicht nur der Unfallversicherer Leistungen erbringt, sondern – häufig zu späteren Zeitpunkten – auch der Rentenversicherer.

[556] OLG Schleswig v. 31.7.2008 – 11 U 152/07 – UV-Recht Aktuell 2008, 104. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht-Rolfs, § 110 SGB VII Rn 7.
[557] OLG Schleswig v. 31.7.2008 – 11 U 152/07 – UV-Recht Aktuell 2008, 104, OLG Thüringen v. 29.8.2013 – 1 U 90/13 –.
[558] BGH v. 15.5.1997 – III ZR 250/95 – BGHZ 135, 341 = DÖV 1997, 836 = NJW 1998, 298 = NVwZ 1998, 211 (nur Ls.) = VersR 1997, 1410 = WM 1997, 2264.
[559] Siehe ergänzend BGH v. 12.7.2005 – VI ZR 83/04 – BGHReport 2005, 1582 = BGHZ 163, 351 = NJW 2006, 1271 (Anm. Czerwenka NJW 2006, 1250) = NJW-Spezial 2006, 63 = NZV 2005, 629 (Anm. Huber NZV 2005, 620) = r+s 2005, 528 = TranspR 2006, 478 = VersR 2005, 1559 = VRS 110, 185.
[560] OLG Karlsruhe v. 14.2.2007 – 7 U 135/06 – NZV 2007, 299 = OLGR 2007, 300 = r+s 2007, 261 (BGH hat Rev...

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