Rz. 356

Ein Aufhebungsvertrag kann nach neuerer Rspr. des BAG unwirksam sein, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist.[658] Die Grundlage dieses Gebots wird in einer durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründeten Nebenpflicht i.S.d. § 311Abs. 2 Nr. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB gesehen. Die Rspr. will durch das Gebot des fairen Verhandelns der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen, z.B. weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, begegnen. Indes hätte es dazu m.E. nicht der Schaffung eines neuen Rechtsinstitutes bedurft; vielmehr hätte die konsequente Anwendung der vorhandenen rechtlichen Instrumentarien ausgereicht.[659]

 

Rz. 357

Als unfair bewertet das BAG eine Verhandlungssituation dann, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen oder durch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse geschehen. Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu messen und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen. Die Beweislast trägt der Arbeitnehmer.

 

Rz. 358

Der unfair behandelte Vertragspartner ist nach § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, als hätte er den Aufhebungsvertrag nicht geschlossen. Der Schadensersatzanspruch führt damit unmittelbar zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrages, ohne dass es des Neuabschlusses eines Arbeitsvertrags bedarf.[660]

 

Praxishinweis

Arbeitgeber sollten einen Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag nach Möglichkeit im Betrieb und zu den üblichen Arbeitszeiten des Arbeitnehmers abschließen. Ein Abschluss an unüblichen Orten (z.B. Pausen- oder Umkleideraum, Privatwohnung des Arbeitnehmers) sollte vermieden werden. Zusätzlich sollte eine Bedenkzeit eingeräumt und deren Einräumung dokumentiert werden. Jedenfalls dann, wenn von dieser "Standard-Situation" abgewichen wird, sollten zusätzliche zeitliche Instrumente – wie z.B. die vorherige Ankündigung des Angebots eines Aufhebungsvertrages oder die Einräumung eines befristeten Widerrufsrechts für den Arbeitnehmer – eingesetzt werden.[661]

[659] Kritisch auch Fischinger, NZA 2019, 729 ff.; Bauer/Romero, ZfA 2019, 608 ff.
[660] BAG 24.9.2015 – 2 AZR 716/14, NZA 2016, 716, Rz. 37. A.A. Burkhardt, Der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag, S. 118; Franz, Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags, S. 520.
[661] Vgl. auch Reufels/Pütz, ArbRB 2020, 253 ff.

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