Rz. 690

Zur Bestimmung des Bedarfs an zusätzlichen Versicherungen für den entsandten Arbeitnehmer ist vor allem entscheidend, ob für die Dauer des Auslandseinsatzes der Arbeitnehmer in die deutsche Sozialversicherung einbezogen bleibt oder nicht.[1270] Grds. gelten die Vorschriften über die Versicherungspflicht und -berechtigung in der deutschen Sozialversicherung aufgrund des Territorialitätsprinzips dem Grundsatz nach nur für im Inland beschäftigte Personen. Besteht wie bei einer Entsendung eines Arbeitnehmers in das Ausland ein Sachverhalt mit Auslandsberührung, so ist zunächst zu klären, nach welcher Rechtsordnung sich die Fragen der Sozialversicherungspflicht und -berechtigung richten. Hier ist zu differenzieren zwischen

Entsendungen von Deutschland in einen Staat innerhalb der EU bzw. des EWR;
Entsendungen von Deutschland in einen Staat, mit dem ein Sozialversicherungsabkommen besteht; und
Entsendungen von Deutschland in Staaten außerhalb der EU bzw. des EWR, mit denen kein Sozialversicherungsabkommen besteht.

Je nach Fallgestaltung gelten für die Bestimmung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts verschiedene Kollisionsregeln.

 

Rz. 691

Für Entsendungen in einen anderen EU-Mitgliedstaat gilt seit dem 1.5.2010 die VO (EG) Nr. 883/2004 sowie die hierzu erlassene Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/09.[1271] Bei Entsendungen nach Norwegen, Island oder Liechtenstein ist weiterhin die VO (EWG) 1408/71[1272] maßgeblich. Hinsichtlich des Austritts Großbritanniens aus der EU am 31.1.2020 ist zu beachten, dass während des Übergangszeitraums laut Austrittsvertrag das bisherige Koordinierungssystem mit Großbritannien fortgesetzt wird. Mit Ende der Übergangszeit enden aufgrund des Austritts die Wirkungen des koordinierenden Sozialrechts. Es steht dann also der Mechanismus der Verordnungen Nr. 883/04/EG und 987/09/EG nicht mehr zur Verfügung.[1273] Ob und wie sich die Situation nach Ablauf des Übergangszeitraums ändern wird, etwa durch eine neue Vereinbarung über die künftige Ausgestaltung eines Koordinierungssystems der Systeme der sozialen Sicherheit im Verhältnis zu Großbritannien, ist unklar und bleibt abzuwarten.

 

Rz. 692

Grds. gilt nach der VO (EG) 883/2004 und der VO (EWG) 1408/71, dass ein Arbeitnehmer, der im Gebiet eines Mitgliedstaates abhängig beschäftigt wird und Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, den Rechtsvorschriften zur Sozialversicherung in dem Tätigkeitsstaat unterliegt. Im Fall einer Entsendung eines Arbeitnehmers aus Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat ist die Anwendung der deutschen Sozialversicherungsregelungen nur ausnahmsweise möglich, wenn

der Arbeitnehmer einem Unternehmen mit Sitz im Inland gewöhnlich angehört;
der Arbeitnehmer von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats entsandt wird; und
der Arbeitnehmer nicht eine Person ablöst, für die die Entsendungszeit abgelaufen ist.
 

Rz. 693

Bei Entsendungen in einen anderen Mitgliedstaat der EU ist dies nach der VO (EG) 883/2004 für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten möglich (Art. 12 Abs. 1). Bei Entsendungen in Staaten des EWR, die nicht der EU angehören und die Schweiz, ist das Verfahren nach VO (EWG) 1408/71 zu beachten, nach der eine Beibehaltung der inländischen Sozialversicherung bei einer voraussichtlichen Dauer der Entsendung von bis zu 12 Monaten möglich ist.[1274] Die Einzelheiten einer solchen Entsendung mussten bisher von der zuständigen inländischen Behörde auf dem Formular E 101 bestätigt werden. Bei von vorneherein über 12 Monate hinausgehenden Entsendungen kommt eine Ausnahmeregelung nach Art. 17 VO (EWG) 1408/71 in Betracht, die eine weitere Anwendung des deutschen Sozialversicherungsrechts ermöglicht. Nach der neuen Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/09 soll zukünftig ein rein elektronischer Datenverkehr vorgenommen werden (Art. 4 Abs. 1 VO EG Nr. 987/09); daher werden die bisherigen E-Formulare (E 101, 102) abgelöst. Seit dem 1.5.2010 werden in den EU-Mitgliedstaaten und seit dem 1.4.2012 in der Schweiz sukzessive neue Formulare in Umlauf gesetzt. Diese SEDs (Structured Electronic Documents) haben einen den bisherigen Formularen ähnlichen Inhalt und ein vergleichbares Layout. Langfristig sollen die SEDs in das Datenaustauschsystem Electronic Exchange of Social Security Information (EESSI) überführt werden. Zusätzlich werden "mobile Dokumente" (Portable Document, PD) eingeführt, in denen die von einem Bürger angeforderten Informationen ausgestellt werden.

 

Rz. 694

Hinsichtlich der Bestimmung des anzuwendenden Sozialversicherungsrechts sind alle Zweige der Sozialversicherung einheitlich zu beurteilen.[1275] Es kann somit hinsichtlich aller Bereiche der Sozialversicherung nur jeweils das Recht eines Staates zur Anwendung kommen.

 

Rz. 695

Bei vorübergehenden Entsendungen von Mitarbeitern in Staaten außerhalb der EU/des EWR mit denen die Bundesrepublik Deutschland Sozialversicherungsabkommen geschlossen hat, bestimmt sich das anzuwen...

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