Rz. 310

Das BAG hat seine Rechtsprechung zur Kürzung von Anwesenheitsprämien in der Vergangenheit wiederholt geändert. Die ältere Rechtsprechung erachtete Prämien als freiwillige soziale Leistungen für grundsätzlich zulässig.[822] Später hielt das BAG die Prämienreduzierung für unvereinbar mit dem LohnFZG.[823] Im Jahr 1990 differenzierte es dann zwischen Jahresprämien[824] einerseits und monatlichen Prämien bzw. laufenden Vergütungsaufschlägen andererseits. Hiernach durften jährlich gezahlte und freiwillig gewährte Prämien, z.B. Weihnachtsgratifikationen, auch bei krankheitsbedingten Fehlzeiten gekürzt werden, allerdings nur bis zu 1/60 der Gesamtprämie pro Fehltag. Die Kürzungsmöglichkeit betraf auch Arbeitsunfälle.[825] Das BAG zog später sogar eine Kürzungsrate von 1/30 je Fehltag in Betracht, allerdings im Zusammenhang mit einer Betriebsvereinbarung.[826]

 

Rz. 311

Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung im Jahre 1996 aufgegriffen und in § 4a EFZG die Zulässigkeit und die Tatbestandsvoraussetzungen für Anwesenheitsprämien und deren Kürzung bei krankheitsbedingten Fehlzeiten gesetzlich geregelt. Zusätzlich gewährte Sondervergütungen dürfen hiernach für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit höchstens um ¼ des Arbeitsentgeltes gekürzt werden, welches im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt.

Auch im Anwendungsbereich von § 4a EFZG bedarf es stets einer zusätzlichen normativen oder vertraglichen Grundlage, die ein Kürzungsrecht eröffnet, z.B. in einem anderen Gesetz, einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer vertraglichen Regelung. Die Kürzungsregelung muss nicht ausdrücklich formuliert sein, sondern kann z.B. auch dann angenommen werden, wenn eine Anwesenheitsprämie für ein Quartal nur unter der Bedingung gewährt wird, dass in diesem Zeitraum kein krankheitsbedingter Fehltag liegt.[827] Das BAG sah hierin eine den gesetzlichen Kürzungsmöglichkeiten entsprechende Regelung und sprach dem Arbeitnehmer nur einen zeitanteilig entsprechend gekürzten Anspruch auf die Anwesenheitsprämie zu.

 

Rz. 312

Die jüngere Rechtsprechung tendiert wegen der seit der Schuldrechtsreform gebotenen Transparenz- und Inhaltskontrolle dazu, die Wirksamkeit der Kürzungsvereinbarung eng an die konkrete Vorhersehbarkeit der im jeweiligen Fall zu erwartenden Prämieneinbuße und deren Bestimmtheit zu knüpfen. Gefordert wird insbesondere die konkrete Prozentangabe der zu erwartenden Kürzung.[828]

[822] BAG 15.5.1964 – 1 AZR 432/63, AP Nr. 35 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG 30.3.1967 – 5 AZR 359/66, AP Nr. 58 zu § 611 BGB Gratifikation (Schwangerschaft).
[823] BAG 11.2.1976 – 5 AZR 615/74, AP Nr. 10 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; BAG 19.5.1982 - 5 AZR 466/80, AP Nr. 12 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie.
[824] BAG 15.2.1990 – 6 AZR 381/88, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie.
[825] BAG 15.12.1999 – 10 AZR 626/98, AP Nr. 221 zu § 611 BGB Gratifikation.
[826] BAG 26.10.1994 – 10 AZR 482/93, EzA Nr. 10 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie.
[827] BAG 25.7.2001 – 10 AZR 502/00, EzA Nr. 2 zu § 4a EFZG.
[828] BAG 7.8.2002 – 10 AZR 709/01, EzA Nr. 3 zu § 4a EFZG; LAG Hamm 7.3.2007 – 18 Sa 1663/06, NZA-RR 2007, 629; LAG Rheinland-Pfalz 14.10.2014 – 7 Sa 85/14, BeckRS 2014, 74103.

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