Rz. 1284

Eine geltungserhaltende Reduktion dient dazu, eine unangemessene oder unwirksame Klausel auf das zulässige Maß zu reduzieren, um damit die Geltung so weit wie möglich zu erhalten.

 

Rz. 1285

Zum Teil sieht das Gesetz die Aufrechterhaltung unwirksamer Abreden ausdrücklich vor.

 

Beispiel 1: § 89 Abs. 2 S. 2 HGB, Kündigungsfristen bei Handelsvertreterverträgen

Werden die gesetzlichen Kündigungsfristen verlängert, darf die Kündigungsfrist für den Unternehmer nicht kürzer sein als für den Handelsvertreter. Vereinbaren die Parteien dennoch für den Unternehmer eine kürzere Kündigungsfrist als für den Handelsvertreter, gilt nach der Fiktion des § 89 Abs. 2 Satz 2 HGB die für den Handelsvertreter vereinbarte längere Kündigungsfrist auch für den Unternehmer.

 

Beispiel 2: § 74a Abs. 1 S. 2 HGB/unverbindliches Wettbewerbsverbot

Das Wettbewerbsverbot ist nur insoweit unverbindlich, wie es die Grenzen des § 74a HGB überschreitet. Soweit sich dieses im zulässigen Rahmen hält, bleibt es wirksam und muss vom Arbeitnehmer eingehalten werden. Es findet also eine geltungserhaltende Reduktion statt.[2775] Ist etwa der Arbeitnehmer für das Gebiet der gesamten Bundesrepublik gesperrt, so kann es auf ein Bundesland zu reduzieren sein.[2776]

Im Übrigen gilt auch im Arbeitsrecht das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, § 306 Abs. 2 BGB.[2777] Danach richtet sich bei Unwirksamkeit einer Bestimmung der Inhalt des Vertrages nach den gesetzlichen Vorschriften. Der Arbeitgeber als Verwender vorformulierter Verträge kann also nicht ungefährdet bis zur Grenze dessen gehen, was zu seinen Gunsten in gerade noch vertretbarer Weise angeführt werden kann, sondern soll das Risiko einer vollständigen Klauselunwirksamkeit tragen ("Alles-oder-Nichts-­Prinzip").[2778]

 

Rz. 1286

Das BAG nahm vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes einzelfallbezogen eine geltungserhaltende Reduktion an. Beispielsweise wurde:

eine überhöhte Bindungsdauer bei der Verpflichtung zur Rückzahlung von Fortbildungskosten geltungserhaltend auf ein angemessenes Maß herabgesetzt.[2779]
eine unangemessen niedrige Ausbildungsvergütung geltungserhaltend auf ein angemessenes Maß angehoben.[2780]
eine Rückzahlungsklausel über Sondergratifikationen angepasst.[2781]

Andere Verstöße führten zur vollen Unwirksamkeit, ohne dass eine geltungserhaltende Reduktion stattfand. Beispielsweise führte:

eine unklare Regelung zur Karenzentschädigung zur Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots insgesamt.[2782]
eine überraschende Ausschlussklausel insgesamt zur Unwirksamkeit.[2783]

Das BAG lehnt seit der Schuldrechtsreform eine geltungserhaltende Reduktion ab. Ist eine Vertragsstrafe in einem Formulararbeitsvertrag zu hoch, kann diese nicht mehr auf ein zulässiges Maß reduziert werden. Auch der Rechtsgedanke des § 343 BGB kann nicht zu einer Herabsetzung der Vertragsstrafe auf das angemessene Maß führen.[2784]

 

Rz. 1287

Sog. Reduktionsklauseln im Arbeitsvertrag sehen eine geltungserhaltende Reduktion, wie sie das Gesetz verbietet, vor: Danach gilt bei Unwirksamkeit einer Bestimmung diejenige wirksame Bestimmung als vereinbart, die der unwirksamen Bestimmung wirtschaftlich am Nächsten kommt. Reduktionsklauseln sind jedenfalls in Formulararbeitsverträgen unwirksam.[2785] So kann etwa eine zu kurz bemessene Ausschlussfrist durch eine salvatorische Klausel nicht gerettet werden; diese ist unwirksam. Jedoch kann sich der Verwender nicht auf die Unwirksamkeit seiner AGB berufen.[2786]

In Individualvereinbarungen jedoch ist eine Reduktionsklausel weiterhin empfehlenswert. Es spricht nichts dagegen, dass das BAG seine frühere Rechtsprechung zur Zulässigkeit geltungserhaltender Reduktion jedenfalls bei Individualvereinbarungen weiterhin anwendet.[2787] Wird dann etwa eine Ausschlussfrist als zu kurz angesehen, würde an die Stelle der zu kurzen Frist die angemessene Frist treten ("das nächstliegende rechtlich zulässige Maß").

Im Fall einer zulässigen Reduktionsklausel fiele dann dem Gericht die Entscheidung darüber zu, was dem Willen der Parteien in zulässiger Weise entspricht. Nicht immer wird ein Gericht diese Aufgabe leisten ­können.[2788]

[2777] BAG 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, NZA 2004, 727: keine Reduktion einer Vertragsstrafenklausel; BAG 12.1.2005 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465; BAG 25.5.2005 – 5 AZR 572/04, NZA 2005, 1111; ErfK/Preis, § 310 BGB Rn 104; Lingemann, NZA 2002, 181, 187; a.A. etwa Hromadka, NJW 2002, 2523, 2529.
[2778] ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn 104; aA etwa: Lingemann, NZA 2002, 181, 187; Hromadka, NJW 2002, 2523, BAG 4.3.2004 – 8 AZR 196/03, NZA 2004, 727; Annuß, BB 2002, 458, 461; MüKo-BGB/Basedow, § 310 Rn 92; Thüsing, NZA 2002, 594, BAG 12.1.2004 – 5 AZR 364/04, NZA 2005, 465.
[2779] BAG 11.4.1984 – 5 AZR 430/82, NZA 1984, 288: Herabsetzung der Bindungsdauer von fü...

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