a) Anlass und Fragestellung

 

Rz. 105

Bleiben trotz zusätzlicher Tests Bedenken bzgl. der Leistungsfähigkeit bestehen, ist es angebracht, diese Eignungszweifel in einer verkehrspsychologischen Fahrverhaltensbeobachtung zu überprüfen. Fahrverhaltensbeobachtungen (FVB) erlauben eine Entscheidung darüber, ob sich die ungenügenden Testergebnisse im praktischen Fahrverhalten tatsächlich in einem nicht akzeptablen, gefährlichen Verhalten niederschlagen oder ob es vielmehr durch eine umsichtige und sicherheitsorientierte Fahrweise zu einer ausreichenden Kompensation der in den Tests aufgetretenen Leistungsdefizite kommt.

 

Rz. 106

Dazu wird eine aus den nicht ausreichenden Testergebnissen abgeleitete eigenständige Frage an die FVB gestellt. Diese könnte beispielhaft lauten:

"Können die anlässlich der testpsychologischen Untersuchung des psycho-physischen Leistungsvermögens festgestellten Leistungseinschränkungen des/der Herrn/Frau … durch Fahrerfahrung und durch eine sicherheitsorientierte Einstellung so kompensiert werden, dass eine angemessene und angepasste, also verkehrssichere Fahrzeugführung erwartet werden kann?"

b) Rahmenbedingungen und Durchführung

 

Rz. 107

Fahrverhaltensbeobachtungen werden in allen Begutachtungsstellen für Fahreignung durchgeführt und müssen einer Reihe von Anforderungen genügen. Zu diesen zählen u.a.:

die wissenschaftliche Fundierung der kraftfahrspezifischen Leistungsanforderungen,
die Einheitlichkeit der Schwierigkeitsgrade der Fahraufgaben an verschiedenen Orten durch definierte Streckenelemente und Aufgabenstellungen, die eine größtmögliche Standardisierung der Fahrstrecke gewährleisten,
die Verwendung standardisierter Fahrinstruktionen und
die Vergleichbarkeit hinsichtlich der Fahrtdauer.
 

Rz. 108

Die FVB wird in einem Fahrschulwagen mit Doppelbedienung im Beisein eines Fahrlehrers auf standardisierten Strecken durchgeführt und ist nach den Methoden der Testkonstruktion entwickelt. Der Fahrlehrer ist dabei für die Sicherheit der Fahrzeuginsassen verantwortlich. Im Notfall muss er die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen.

 

Rz. 109

Die Durchführung der FVB obliegt jedoch allein dem verkehrspsychologischen Gutachter. Dieser gibt in der Regel die Fahranweisungen, notiert bestimmte positive und negative Verhaltensweisen des Klienten auf einem Protokoll und bewertet im Anschluss an die Fahrt den Gesamteindruck des Fahrverhaltens. Hierzu werden die Notizen herangezogen und dem Klienten die Gelegenheit gegeben, sich zu den Beobachtungen zu äußern. Direkt am Ende der Fahrt wird dem Klienten dann das Ergebnis der Fahrt mitgeteilt.

 

Rz. 110

Bei der FVB werden folgende Leistungsbereiche überprüft:

A: Aufmerksamkeit
B: Belastbarkeit
K: Konzentration
O: Optische Orientierung
R: Reaktionsfähigkeit
 

Rz. 111

Da die FVB eine reine Kompensationsprüfung ist, kann auch mit einem Fahrer, der die Fahrerlaubnis der Gruppe 2 beantragt hat, die Fahrt in einem Pkw durchgeführt werden. Klienten, die eine Fahrerlaubnis der Gruppe 2 besitzen oder beantragen, müssen dabei jedoch höhere Anforderungen erfüllen, als solche Klienten, die nur eine Fahrerlaubnis der Gruppe 1 besitzen oder beantragen.[20]

 

Rz. 112

 

Praxistipp

Wie alle Untersuchungsteile unterliegt auch die FVB dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit einer Untersuchung. Da eine FVB mit zusätzlichem finanziellen und zeitlichen Aufwand für den Klienten verbunden ist, wird sie daher lediglich solchen Klienten angeboten, die bei der psychologischen und der medizinischen Untersuchung die Eignungsbedenken ausräumen konnten. Nur die unzureichenden Testergebnisse würden einem positiven MPU-Gutachten entgegenstehen. Es obliegt dabei der Entscheidung des Klienten, ob er sich einer FVB unterziehen möchte oder nicht. Entscheidet er sich jedoch gegen eine FVB, bleiben die Leistungsdefizite ungeprüft bestehen, was stets ein negatives Gutachtenergebnis nach sich ziehen wird.

Es ist daher empfehlenswert, dem Klienten zur Teilnahme an einer FVB zu raten, da er nur dadurch Kompensationsmöglichkeiten im Fahrverhalten aufzeigen und die Testergebnisse entkräften kann.

[20] Vgl. Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP)/Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) (Hrsg.), Urteilsbildung in der Fahreignungsbegutachtung: Beurteilungskriterien, 3. Aufl. 2013, S. 303.

c) Ergebnisse

 

Rz. 113

Die FVB kann mit folgenden Ergebnissen abgeschlossen werden:

positiv: Die Leistungsdefizite können durch Fahrerfahrung und eine sicherheitsorientierte Einstellung kompensiert werden.
teilweise positiv: Es zeigen sich einige Befähigungsmängel im praktischen Fahrverhalten, sodass eine Nachschulung durch einen Fahrlehrer empfohlen wird.
teilweise positiv: Es zeigen sich einige Leistungsdefizite im praktischen Fahrverhalten, sodass eine Beschränkung empfohlen wird.
negativ: Die Leistungsdefizite zeigen sich auch im praktischen Fahrverhalten, sodass eine Kompensation nicht möglich ist.

Zu den möglichen Beschränkungen sei auf § 18 Rdn 64 f. verwiesen.

 

Rz. 114

Das Ergebnis der FVB sowie der zugehörige Bericht werden sodann dem zuständigen psychologischen Guta...

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