Rz. 69

Auch mit Blick auf Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht[194] kommt nicht selten der Einwand eines Mitverschuldens zum Tragen, namentlich, wenn ein sorgfältiger Mensch die Gefahr rechtzeitig hätte erkennen können bzw. Anhaltspunkte für eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bestehen und er die Möglichkeit hatte sich darauf einzustellen.[195] Dies kommt im hier interessierenden Unfallrecht insbesondere in Betracht, wenn ein Geschädigter auf erkennbar glatter Fläche ausrutscht,[196] erkennbare Unebenheiten übersieht bzw. nicht berücksichtigt,[197] ein Schlagloch nicht erkennt,[198] oder sonstigen Gefahrstellen – trotz Möglichkeit und Zumutbarkeit – nicht ausweicht[199] bzw. nicht ausreichend die Straßenverhältnisse und/oder Besonderheiten des eigenen Fahrzeugs (z.B. Tieferlegung) berücksichtigt.[200]

 

Rz. 70

Dabei dürfen die Anforderungen an den Verkehrsteilnehmer freilich auch nicht überspannt werden. So kann der für einen bereits seit Jahren "desolaten" Gehweg Verkehrssicherungspflichtige gegenüber einem gestürzten Fußgänger nicht einwenden, dieser habe, statt den schadhaften Überweg zu benutzen, auf die daneben befindliche Grünfläche ausweichen können. Denn der Verkehrssicherungspflichtige kann Verkehrsteilnehmern grundsätzlich nicht entgegenhalten, sie hätten gefährliche Stellen meiden müssen. Damit würde er die ihn treffende Verantwortung unzulässig auf den Verkehrsteilnehmer abwälzen.[201] Folgerichtig kann einer Geschädigten z.B. nicht alleine deshalb die alleinige Verantwortung für die Folgen eines Sturzes als Fußgängerin in einer Fußgängerzone aufgebürdet werden, weil sie sich dorthin trotz erkannten Schneematschs ohne Notwendigkeit begeben habe.[202] Ebenso wenig ist ein Fußgänger gehalten, auf den Randbereich der Fahrbahn auszuweichen.[203]

[194] Hierzu näher § 2 Rdn 267 ff.
[195] Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, § 254 BGB, Rn 14; MüKo-BGB/Oetker, § 254, Rn 46 m. umfangreichen Beispielen aus der Rechtsprechung.
[196] Vgl. BGH, Urt. v. 20.11.1984 – VI ZR 169/83, NJW 1985, 482, 483; OLG Brandenburg, Urt. v. 29.3.2007 – 12 U 171/06, BeckRS 2009, 5907; OLG Hamm, Urt. v. 26.1.1998 – 6 U 186/97, MDR 1998, 1105; OLG Köln, Urt. v. 21.1.2003 – 24 U 87/02, VersR 2003, 1453; OLG München, Urt. v. 27.3.2003 – 19 U 5318/02, VersR 2004, 251; LG Frankfurt/Oder, Urt. v. 8.7.2009 – 14 O 379/08, NVwZ-RR 2009, 981; LG Gießen, Urt. v. 7.2.2008 – 4 O 448/07, MDR 2008, 626.
[197] Vgl. BGH, Urt. v. 29.6.1995 – III ZR 196/94, NJW-RR 1995, 1302, 1303; OLG Stuttgart, Urt. v. 5.4.1966 – 5 U 117/65, VersR 1967, 485; OLG Hamm, Urt. v. 9.7.1996 – 9 U 108/96, NZV 1997, 43; OLG Hamm, Urt. v. 16.12.1999 – 6 U 158/99, NJW 2000, 3144, 3145; OLG Celle, Urt. v. 16.9.1998 – 9 U 108/98, OLGR 1999, 6; OLG Celle, Urt. v. 25.1.2007 – 8 U 161/06, OLGR 2007, 634.
[198] Vgl. OLG Bremen, Urt. v. 5.5.2004 – 1 U 16/04, OLGR 2004, 428; OLG Celle, Urt. v. 8.2.2007 – 8 U 199/06, NJW-RR 2007, 972, 974; OLG Jena, Urt. v. 24.6.2009 – 4 U 67/09, MDR 2009, 1391; OLG München, Urt. v. 10.5.2007 – 1 U 5565/06, BeckRS 2007, 8494; OLG München, Urt. v. 18.9.2008 – 1 U 3081/08, BeckRS 2008, 20498.
[199] BGH, Urt. v. 1.10.1957 – VI ZR 215/56, VersR 1957, 710, 711; OLG Jena, Beschl. v. 23.7.2008 – 4 U 403/08, NZV 2008, 525.
[200] Vgl. OLG Celle, Urt. v. 26.5.1999 – 9 U 253/98, MDR 2000, 156, 157.
[203] BGH, Urt. v. 6.5.1997 – VI ZR 90/96, NZV 1997, 430.

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