Rz. 9

Zu den Akten gehören alle verfahrensbezogenen Unterlagen, d.h. alle Ermittlungsvorgänge. Die Oberlandesgerichte Celle (zfs 2013, 608) und Düsseldorf (NZV 2016, 146) sind unter Hinweis auf den von ihnen vertretenen "formellen" Aktenbegriff der Auffassung, dass sich das Einsichtsrecht der Verteidigung nur auf den aktuellen Akteninhalt beschränke und keine Verpflichtung bestehe, andernorts verwahrte Beweismittel zu den Akten zu nehmen.

Nach zutreffender Auffassung besteht bereits als Ausfluss des fairen Verfahrens ein Anspruch darauf, dass sämtliche verfahrensrelevante Unterlagen zu den Akten genommen und so dem Einsichtsrecht der Verteidigung unterworfen werden (KG zfs 2013, 410; OLG Oldenburg zfs 2017, 469; OLG Karlsruhe DAR 2019, 582).[1] Hierzu gehören z.B. - neben etwaigen Bild- oder Videoaufnahmen - die Lebensakte (OLG Sachsen-Anhalt DAR 2016, 215), die Bedienungsanleitung (OLG Naumburg DAR 2013, 37; KG DAR 2013, 211; OLG Karlsruhe zfs 2018, 471), die Messdaten (VGH Saarland DAR 2018, 557; OLG Karlsruhe DAR 2019, 582), Auszüge aus Bundes-, Verkehrs- oder Gewerbezentralregister (BVerfGE 62, 338; LG Itzehoe StV 1991, 555) sowie sämtliche Unterlagen, die dem Sachverständigen vom Gericht zur Verfügung gestellt werden.

Waren nicht sämtliche Beweismittel im Zeitpunkt der (ggf. wiederholten) Akteneinsicht Aktenbestandteil, ist das rechtliche Gehör verletzt.

Dagegen sind Notizen ("aussageerleichternde Unterlagen"), die es dem Beamten angesichts der massenhaft vorkommenden OWi-Sachen regelmäßig lediglich ermöglichen sollen, später über seine Wahrnehmung auszusagen, nicht als Ergebnis von Ermittlungen zu den Akten zu geben (OLG Düsseldorf NZV 2007, 485).

Dem Akteneinsichtsrecht der Verteidigung unterliegen sämtliche Beweismittel, auch wenn sie, wie in Verkehrssachen häufig üblich, bei einer anderen Dienststelle aufbewahrt werden (OLG Naumburg DAR 2013, 37; KG DAR 2013, 211).

Umstritten ist allerdings, ob in solchen Fällen das Gericht verpflichtet ist, dafür zu sorgen, dass die Beweismittel zu den Akten gelangen und so dem Akteneinsichtsrecht des Verteidigers unterliegen. Während das OLG Naumburg (DAR 2013, 37), das KG (DAR 2013, 711) sowie Cierniak[2] unter Hinweis auf das faire Verfahren dies bejahen, lehnt dies das OLG Celle (NZV 2013, 308; NZV 2013, 608) unter Berufung auf den "formellen" Aktenbegriff, nach dem nur der bestehende Akteninhalt selbst dem Akteneinsichtsrecht der Verteidigung unterliegt, ab. Nach zutreffender Auffassung müsste das Gericht jedoch auf entsprechenden Antrag hin zumindest dafür sorgen, dass die das Beweismittel verwahrende Dienststelle eine Kopie an den Verteidiger versendet.

 

Tipp: Gebühr

Der Verteidiger sollte den Antrag auf Übersendung einer Kopie bzw. Überspielung des Videobandes schon gleich mit dem Antrag auf Akteneinsicht stellen, denn dann darf für eine spätere Übersendung des Videobandes nicht nochmals eine Akteneinsichtsgebühr verlangt werden (AG Straubing DAR 2004, 604).

 

Rz. 10

 

Achtung: Einsichtsrecht des von der Verteidigung beauftragten Sachverständigen

Häufig ist der von der Verteidigung beauftragte Sachverständige auf Einsicht in die Original-Beweismittel angewiesen. Meistens gewähren Behörden ihm Akteneinsicht allenfalls dann, wenn er sich in Begleitung des Verteidigers befindet. Diesen mühsamen Umweg erspart ihm das AG Senftenberg (DAR 2011, 422), indem es dem von der Verteidigung nachweislich beauftragten Sachverständigen ein unmittelbares Akteneinsichtsrecht zubilligt.

[1] Cierniak, DAR 2018, 541.
[2] Cierniak, zfs 2012, 664, 672.

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