Rz. 23

Die Invaliditätsleistung als Einmalzahlung wird auf Basis der vereinbarten Versicherungssumme und des Grades der unfallbedingten Invalidität berechnet. Nach den gängigen AUB (vgl. Ziffer 2.1.2.2.1 AUB 2014) gilt für die Berechnung des Invaliditätsgrades eine Gliedertaxe. Ist der Versicherte nicht an einem in der Gliedertaxe genannten Körperteil verletzt, richtet sich der Invaliditätsgrad danach, in welchem Umfang die normale körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt ist. Als (Vergleichs-)Maßstab ist die Leistungsfähigkeit einer unverletzten durchschnittlichen Person gleichen Alters und gleichen Geschlechts heranzuziehen.

 

Rz. 24

Die Gliedertaxe sieht nach einem abstrakten und generellen Maßstab feste Invaliditätsgrade für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit der abschließend aufgeführten Körperteile oder Sinnesorgane vor, der mit Rumpfnähe des Teilglieds steigt.[46] Dabei ist nicht auf den Sitz der Wirkung der Beeinträchtigung abzustellen, sondern allein auf den Sitz der Verletzung.[47] Bei der Beeinträchtigung mehrerer Funktionen sind die jeweiligen Invaliditätsgrade zunächst getrennt zu ermitteln und sodann zu addieren (Ziffer 2.1.2.2.4 AUB 2014). Mehr als 100 % werden jedoch nicht berücksichtigt.

Waren betroffene Körperteile oder Sinnesorgane schon vor dem Unfall dauerhaft beeinträchtigt, besteht Vorinvalidität. Diese berechnet sich nach Ziffern 2.1.2.2.1 und 2.1.2.2.2 AUB 2014 und führt zu einer entsprechenden Minderung des Invaliditätsgrades.[48]

 

Rz. 25

Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil der in der Gliedertaxe genannten Invaliditätsgrade. Um in einem solchen Fall die Invaliditätsleistung berechnen zu können, muss der zu ermittelnde Grad der Funktionsbeeinträchtigung mit dem aus der Gliedertaxe ersichtlichen, körperteilbezogenen Prozentsatz multipliziert werden.[49] Dabei schließt der Verlust oder die Beeinträchtigung eines rumpfnäheren Gliedes den Verlust oder die Beeinträchtigung des rumpfferneren Gliedes ein.[50] Eine Addition der in der Gliedertaxe vorgesehenen einzelnen Teilglieder (z.B. Finger, Hand, Arm) findet grundsätzlich nicht statt.[51]

 

Rz. 26

Häufig sind in den Versicherungsverträgen Progressionsstaffeln vereinbart. Hierdurch soll insbesondere schweren Verletzungen mit entsprechenden Beeinträchtigungen des Versicherten Rechnung getragen werden. Solche Progressionsstaffeln sind typischerweise so ausgestaltet, dass ab einem bestimmten Invaliditätsgrad (beispielsweise ab 25 %) ein Progressionsfaktor greift, der zu einer signifikanten Erhöhung der Invaliditätsleistung führt. Bezugsgröße ist immer die versicherte Invaliditätsgrundsumme, die dem Versicherungsschein zu entnehmen ist.

 

Rz. 27

Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Frage, welcher (End-)Zeitpunkt für die Beurteilung des Invaliditätsgrades herangezogen werden muss. Der BGH hat sich hierzu klar positioniert. Für die Durchführung der Erstbemessung ist nur der Gesundheitszustand zu berücksichtigen, der bis zum Ablauf der Drei-Jahres-Frist zu prognostizieren ist. Spätere Veränderungen – seien sie positiv oder negativ – haben demgegenüber außer Betracht zu bleiben.[52] Der Dreijahreszeitraum ist nunmehr in Ziffer 2.1.2.2 AUB 2014 aufgenommen worden und soll sowohl für die erste als auch für spätere Bemessungen der Invalidität gelten.

 

Rz. 28

Nach § 188 Abs. 1 VVG ist jede Vertragspartei berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach Eintritt des Unfalls, neu bemessen zu lassen.[53] Auf dieses Recht ist der Versicherungsnehmer mit der Erklärung des Versicherers über dessen Leistungspflicht zu unterrichten. Unterbleibt die Belehrung oder ist sie fehlerhaft oder unvollständig, kann sich der Versicherer nicht auf eine Verspätung des Neubemessungsbegehrens des Versicherungsnehmers berufen.

Hinsichtlich des Bewertungszeitraums für die Neubemessung der unfallbedingten Invalidität rekurriert der BGH ausdrücklich auf den "Stichtag drei Jahre nach dem Unfall."[54] Eine Neubemessung des Invaliditätsgrades macht für den Mandanten nur Sinn, wenn nach der Erstbemessung medizinisch nachweisbare Verschlechterungen eingetreten sind, die zu einer höheren Invaliditätsleistung führen. Andernfalls ist die Gefahr zu berücksichtigen, dass sich im Rahmen einer Neubemessung ein Invaliditätsgrad ergeben könnte, der niedriger ist als derjenige der Erstbemessung. In diesem Fall steht dem Versicherer ein Rückforderungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung zu.[55]

[48] Siehe auch das Berechnungsbeispiel unter Ziffer 2.1.2.2.3 AUB 2014.
[49] Berechnungsbeispiel: Ist ein Arm vollständig funktionsunfähig, ergibt dies einen Invaliditätsgrad von 70 %. Ist der Arm zu 2/10 in seiner Funktion beeinträchtigt, ergibt dies einen Invaliditätsgrad von 14 %.

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