Rz. 2

Den (erstinstanzlichen) Prozessbevollmächtigten treffen direkt nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils Pflichten im Zusammenhang mit einem denkbaren Berufungsverfahren. Das Mandat eines Prozessbevollmächtigten ist grundsätzlich nicht beendet, bevor er seinem Auftraggeber das Urteil übersandt, dessen Zustellung mitgeteilt und auf die Rechtsmittelmöglichkeiten hingewiesen hat. Ein Prozessbevollmächtigter muss seine Partei darüber unterrichten, ob, in welchem Zeitraum, in welcher Weise und bei welchem Gericht gegen eine Entscheidung Rechtsmittel eingelegt werden kann. Diese Unterrichtung erfordert eine richtige Belehrung über den Zeitpunkt des Ablaufs der Rechtsmittelfrist.[3]

[3] Zum Ganzen BGH NJW-RR 2017, 1210, 1211.

1. Statthaftigkeit der Berufung

 

Rz. 3

Die erste Vorüberlegung bei der Planung eines Berufungsverfahrens ist die Abklärung der Statthaftigkeit des Rechtsmittels. Es bedarf eines angriffsfähigen Urteils (§ 511 Abs. 1 ZPO), das den Berufungskläger entweder hinreichend beschwert (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) oder gegen das die Berufung zugelassen wurde (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

a) Angriffsfähiges Urteil

aa) Ausgangspunkt: Verkündetes Endurteil

 

Rz. 4

Gem. § 511 Abs. 1 ZPO ist die Berufung gegen ein im ersten Rechtszug erlassenes Endurteil statthaft. Zur Entstehung gelangt das Urteil erst durch – mittels Verkündungsprotokoll nachzuweisende – Verkündung[4] oder eine die Verkündung ersetzende Zustellung (beim Anerkenntnisurteil oder Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren) nach § 310 Abs. 3 ZPO. Im letztgenannten Fall tritt die "Verkündungswirkung" erst mit der letzten nach § 317 Abs. 1 ZPO notwendigen Zustellung ein.[5] Auch das fehlerhaft nicht verkündete, sondern gem. § 310 Abs. 3 ZPO zugestellte Urteil ist ein Endurteil (und nicht nur ein Scheinurteil),[6] wenn die Verlautbarung des Urteils von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte.

 

Rz. 5

Verkündungsmängel stehen dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde. Für das Entstehen eines wirksamen Urteils müssen nur die Mindestanforderungen an eine Verlautbarung gewahrt sein. Hierzu gehört, dass die Verlautbarung vom Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von dem Erlass und dem Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden.[7]

 

Rz. 6

Die Verkündung eines Urteils in einem dazu anberaumten Termin ist auch dann wirksam, wenn das Urteil bei der Verkündung noch nicht in vollständiger Form vorliegt.[8] Das zu unterzeichnende[9] Verkündungsprotokoll muss nicht genau erkennen lassen, ob das Urteil durch Bezugnahme auf die Urteilsformel oder durch Verlesen der Formel verkündet wurde und ob das Urteil zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgefasst war.[10] Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils in Verbindung mit der nach § 160 Abs. 3 Nr. 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll – sei es direkt oder als Anlage zum Protokoll – Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, d.h. auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel verkündet worden ist.[11] Die schriftlich fixierte Urteilsformel muss nicht Bestandteil der Akten werden.[12] Wurde ausweislich des Verkündungsprotokolls "anliegendes Urteil verkündet", ist damit dem Erfordernis des § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO genügt und die Verkündung des in Bezug genommenen Urteils bewiesen,[13] wenn das Protokoll innerhalb der Fünf-Monats-Frist des § 517 ZPO erstellt worden ist.[14]

 

Rz. 7

 

Hinweis

Mitunter wird von erstinstanzlichen Gerichten in überschaubaren Sachen ein Vorgehen nach § 313a Abs. 2 ZPO (Verkündung eines "Stuhlurteils" mit Rechtsmittelverzicht) zur Gebührenreduktion nach Ziff. 1211 Nr. 2 VV GKG angeregt. Meist wird der Rechtsmittelverzicht nach Ankündigung des Inhalts des Urteils bereits vor der Verkündung erklärt. Ein solcher Rechtsmittelverzicht vor der Verkündung des Urteils ist wirksam (§ 313a Abs. 3 ZPO).[15] Ein Rechtsmittelverzicht in Form einer gegenüber dem Gericht abgegebenen Erklärung führt die formelle Rechtskraft der betroffenen Entscheidung herbei und ist von Amts wegen zu berücksichtigen.[16]

[5] BGH NJW 1996, 1969.
[9] Vgl. hierzu etwa BGH NJW-RR 2017, 386.
[11] BGH NJW 2011, 1741, 1742.
[12] BGH NJW 2015, 2342, 2343.
[15] Vgl. zum Erlass eines rechtsmittelfähigen Beschlusses BGH NJW-RR 2018, 250.

bb) Berufung gegen ein Versäumnisurteil

 

Rz. 8

Das zweite Versäumnisurteil ist gem. § 514 Abs. 2 ZPO berufungsfähig. Hierbei handelt es sich um ein Versäumnisurteil, durch welches der Einspruch gegen das erste Versäumnisurteil (§ 345 ZPO), der Einspruch gegen einen Vollstreckungsbescheid (§ 300 Abs. 1 ZPO) oder ein Wiedereinsetzungsgesuch (§ 238 Abs. 2 S 2 ZPO) wegen Versäumnis verworfen worden ist. Die Berufung gegen ein zweites Versäumnisurteil kann ...

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