aa) Ausgangslage
Rz. 326
Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage sind keine Angriffs- und Verteidigungsmittel. Sie unterfallen daher nicht den Präklusionsvorschriften der §§ 530, 531 ZPO. Zur Begründung erweiterter Anträge vorgetragene Tatsachen und Beweismittel können daher nicht nach diesen Vorschriften als verspätet zurückgewiesen werden.[503] Die Zulässigkeit von Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage richtet sich vielmehr nach § 533 ZPO.[504] Änderungen des Klageantrags nach § 264 ZPO sind auch in der Berufungsinstanz nicht als Klageänderung anzusehen, so dass § 533 ZPO auf sie keine Anwendung findet.[505] Die Abgrenzung zwischen neuen Tatsachen und Klageänderung/Aufrechnung richtet sich nach dem Streitgegenstandsbegriff.
Rz. 327
Beispiel
Die Geltendmachung eines Anspruchs aus abgetretenem Recht auch bei einem einheitlichen Klageziel stellt einen anderen Streitgegenstand als die Geltendmachung aus eigenem Recht dar, weil der der Klage zugrunde gelegte Lebenssachverhalt im Kern geändert wird, wenn die Klage statt auf eigenes auf fremdes Recht gestützt wird. Daher ist § 533 ZPO einschlägig.[506]
Rz. 328
Hinweis
Eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz liegt auch dann vor, wenn diese bereits in erster Instanz, allerdings nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde. Dies gilt auch dann, wenn ein Schriftsatznachlass gewährt worden ist. Nach §§ 261 Abs. 2, 297 ZPO müssen Sachanträge spätestens in der letzten mündlichen Verhandlung gestellt werden.[507]
bb) Keine isolierte Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage
Rz. 329
Jede Klageänderung, Aufrechnungserklärung oder Widerklage ist davon abhängig, dass ein zulässiger Berufungsangriff geführt wird. Die Berufung kann also nicht ausschließlich mit einem neuen Anspruch begründet werden.[508] Der Beklagte kann also gegen ein teilweise klagestattgebendes Urteil nicht Berufung allein mit der Begründung einer weitere Beträge umfassenden Aufrechnung einlegen.[509] Stattdessen ist immer darauf zu achten, dass zulässige Berufungsangriffe vorliegen, auch wenn der Berufungskläger im Ergebnis nicht davon überzeugt ist, dass diese Angriffe durchdringen.
cc) Ausnahmefälle
Rz. 330
In besonderen Ausnahmefällen unterfallen die Widerklage und die Aufrechnungserklärung nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO. Dabei handelt es sich um:
▪ | die Zwischenfeststellungswiderklage (§§ 525, 256 Abs. 2 ZPO),[510] |
▪ | die vom Erstgericht nicht beschiedene Hilfsaufrechnung[511] und |
▪ | die Geltendmachung einer Aufrechnung eines Dritten durch den Beklagten als neue Tatsache gem. § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 i.V.m. § 531 Abs. 2 S. 1 ZPO.[512] |
dd) Zulässigkeitsanforderungen
Rz. 331
Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nach § 533 ZPO nur zulässig, wenn
▪ | der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und |
▪ | diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. |
Rz. 332
Für die Einwilligung des Gegners genügt die rügelose Einlassung im Sinne von § 267 ZPO.[513] Willigt der Kläger nicht ein, kommt es darauf an, ob die Klageänderung, die Aufrechnung oder die Widerklage sachdienlich sind. Die Beurteilung der Sachdienlichkeit erfordert eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen. Maßgebend ist nach der Rechtsprechung des BGH allein die objektive Beurteilung, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff innerhalb des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einem anderenfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Entscheidend ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit. Dabei steht der Sachdienlichkeit einer Klageänderung nicht entgegen, dass im Falle ihrer Zulassung Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert würde. Die Sachdienlichkeit kann vielmehr bei der gebotenen prozesswirtschaftlichen Betrachtungsweise im Allgemeinen nur dann verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann.[514]
Rz. 333
Beispiele
Regelmäßig wird Sachdienlichkeit bejaht, wenn
▪ | für den neuen Anspruch derjenige Prozessstoff herangezogen werden kann, der schon Gegenstand der ersten Instanz war oder |
▪ | die Berücksichtigung der Einwendung zur endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet; auf eine Verzögerung kommt es dann nicht an.[515] |
Demgegenüber wird die Sachdienlichkeit verneint werden, wenn
▪ | der maßgebliche tatsächliche Zusammenhang zwischen Klage- und Gegenforderung fehlt,[516] |
▪ | die Gegenforderung nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils durch Abtretung erworben wurde und streitig ist,[517] |
▪ | das Berufung... |
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