Rz. 331

Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind nach § 533 ZPO nur zulässig, wenn

der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und
diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
 

Rz. 332

Für die Einwilligung des Gegners genügt die rügelose Einlassung im Sinne von § 267 ZPO.[513] Willigt der Kläger nicht ein, kommt es darauf an, ob die Klageänderung, die Aufrechnung oder die Widerklage sachdienlich sind. Die Beurteilung der Sachdienlichkeit erfordert eine Berücksichtigung, Bewertung und Abwägung der beiderseitigen Interessen. Maßgebend ist nach der Rechtsprechung des BGH allein die objektive Beurteilung, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff innerhalb des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einem anderenfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt. Entscheidend ist der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit. Dabei steht der Sachdienlichkeit einer Klageänderung nicht entgegen, dass im Falle ihrer Zulassung Beweiserhebungen nötig werden und dadurch die Erledigung des Prozesses verzögert würde. Die Sachdienlichkeit kann vielmehr bei der gebotenen prozesswirtschaftlichen Betrachtungsweise im Allgemeinen nur dann verneint werden, wenn ein völlig neuer Streitstoff in den Rechtsstreit eingeführt werden soll, bei dessen Beurteilung das Ergebnis der bisherigen Prozessführung nicht verwertet werden kann.[514]

 

Rz. 333

 

Beispiele

Regelmäßig wird Sachdienlichkeit bejaht, wenn

für den neuen Anspruch derjenige Prozessstoff herangezogen werden kann, der schon Gegenstand der ersten Instanz war oder
die Berücksichtigung der Einwendung zur endgültigen Erledigung des Streits zwischen den Parteien führt, der den Gegenstand des anhängigen Verfahrens bildet; auf eine Verzögerung kommt es dann nicht an.[515]

Demgegenüber wird die Sachdienlichkeit verneint werden, wenn

der maßgebliche tatsächliche Zusammenhang zwischen Klage- und Gegenforderung fehlt,[516]
die Gegenforderung nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils durch Abtretung erworben wurde und streitig ist,[517]
das Berufungsgericht mangels genügender Substantiiertheit der Gegenforderung erst nach § 139 ZPO aufklären müsste[518] oder
die Gegenforderung bereits anderweitig rechtshängig ist.[519]
 

Rz. 334

Darüber hinaus muss sich jede Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage in der Berufungsinstanz auf Tatsachen stützen, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Zu den Tatsachen, auf die gem. § 533 Nr. 2 ZPO eine Klageänderung gestützt werden kann, gehören nach der Rechtsprechung des BGH auch solche, die bereits in erster Instanz vorgetragen waren, von dem erstinstanzlichen Gericht aber als unerheblich beurteilt worden sind und deshalb im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden haben. Kommt es aus der allein maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts aufgrund der Klageänderung auf diese Tatsachen an, bestehen erhebliche Zweifel an der Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen, die das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu eigenen Feststellungen berechtigen und verpflichten.[520]

 

Rz. 335

 

Beispiel

Auch das Abstehen im Urkundenprozess in der Berufungsinstanz ist möglich, wenn der Beklagte einwilligt oder das Gericht es für sachdienlich erachtet.[521]

[513] BGH WM 1990, 1938.
[514] Zum Ganzen BGH NJW 2007, 2414, 2415.
[516] BGH NJW 1977, 49; BGH VersR 1967, 477.
[517] BGHZ 5, 373, 377.
[518] BGHZ 17, 124, 126.
[519] OLG Frankfurt/M. MDR 1980, 235.
[520] BGH NJW 2007, 2414, 2416.
[521] Näher BGH NJW 2011, 2796.

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