Rz. 76

Hiervon zu unterscheiden ist ein grob fahrlässiges Fehlverhalten des Versicherungsnehmers bei der Annahme, dass die angefallenen Rettungskosten erforderlich bzw. geboten i.S.d. § 83 Abs. 1 S. 1 VVG sind. Ein grob fahrlässiger Irrtum in diesem Bereich geht grundsätzlich zu Lasten des Versicherungsnehmers. Eine klassische Fallgruppe stellt hierbei das Ausweichen vor einem Tier dar. Erforderliche Rettungskosten sind z.B. bei einem großen Tier wie einem Reh wegen der damit verbundenen Gefahren für den Kraftfahrer ohne weiteres gegeben. Es entspricht durchaus der Lebenserfahrung, dass ein Kraftfahrer, worunter auch ein Motorradfahrer fällt, ein Ausweichmanöver zumindest auch in Rettungsabsicht bzgl. seines Fahrzeugs vornimmt.[105] Auch bei reflexhaftem Ausweichen, das objektiv auf die Abwendung des Fahrzeugschadens abzielt, ist der Kaskoversicherer zum Ersatz der Rettungskosten verpflichtet.[106] Abzustellen ist hierbei insbesondere auch auf das konkrete Fahrverhalten.[107]

Anders sieht dies indes bei kleineren Tieren aus: Da die Gefahren, die sich beispielsweise aus einer Kollision mit einem Fuchs ergeben, als nicht sehr hoch einzuordnen sind, stellt in diesem oder einem vergleichbaren Fall ein willentliches Ausweichen i.d.R. ein grob fahrlässiges Fehlverhalten dar.[108] Bei einem reflexartigen Ausweichen und einer Entscheidung in Sekundenbruchteilen kann aber eine grobe Fahrlässigkeit in subjektiver Hinsicht zu verneinen sein.[109]

 

Rz. 77

Wenn aber ein grob fahrlässiger Irrtum angenommen wird, ist zu beachten, dass die Rettungskosten zumindest teilweise zu ersetzen sind und sich der Versicherungsnehmer darauf berufen kann, dass der Versicherer nur anteilig eine Kürzung vornehmen darf. Insoweit ist zu beachten, dass die Rechtsprechung aus einer Gleichstellung mit dem Recht zur Leistungsfreiheit bei einer Obliegenheitsverletzung den Grundsatz entwickelt hat, dass dem Versicherungsnehmer nur ein grob fahrlässiger Irrtum schadet. Im Recht der Leistungskürzung wegen einer Obliegenheitsverletzung findet sich jedenfalls der Grundgedanke, dass bei grober Fahrlässigkeit der Versicherungsnehmer i.d.R. einen Anteil an der Versicherungsleistung unter Berücksichtigung der Kürzungsquote erhält. Wenn zum Schutz des Versicherungsnehmers diesem bei dem Ersatz von Rettungskosten nur ein grob fahrlässiges Fehlverhalten schadet, ist es nur konsequent, in diesem Bereich einen anteiligen Ersatz der Rettungskosten, also gekürzt um die an der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers orientierte Quote zuzusprechen.[110]

 

Rz. 78

Muster 15.22: Einwände bei der Leistungskürzung bei Irrtum über erforderliche Rettungskosten

 

Muster 15.22: Einwände bei der Leistungskürzung bei Irrtum über erforderliche Rettungskosten

_________________________ Versicherung AG

_________________________

_________________________

Schaden-Nr./VS-Nr./Az. _________________________

Schaden vom _________________________

Pkw _________________________, amtl. Kennzeichen _________________________

Sehr geehrte Damen und Herren,

in vorbezeichneter Angelegenheit komme ich zurück auf Ihre Leistungsablehnung in Höhe von _________________________ %, die zu beanstanden ist.

1) Es ist kein grob fahrlässiger Irrtum meiner Mandantschaft über erforderliche Rettungskosten anzunehmen.

a) Zum einen ist bei der hier gegebenen Konstellation eines Ausweichens vor _________________________ eine objektiv gebotene Rettungshandlung zu bejahen, da _________________________.

b) Und selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, fehlt es an einem grob fahrlässigen Irrtum über die Erforderlichkeit. Bei einem – wie hier erfolgten – reflexartigen Ausweichen und einer Entscheidung in Sekundenbruchteilen ist eine grobe Fahrlässigkeit in subjektiver Hinsicht zu verneinen (so OLG Zweibrücken, Urt. v. 25.8.1999 – Az. 1 U 218/98 = VersR 2000, 884 für § 61 VVG a.F.). Dies insbesondere, wenn in dem hier vorliegenden Fall berücksichtigt wird, dass _________________________

2) Selbst wenn mein Mandant tatsächlich grob fahrlässig gehandelt haben sollte, steht Ihnen kein Kürzungsrecht in der begehrten Höhe zu. Hier ist ebenfalls eine Quotelung vorzunehmen, die sich an der Schwere des Verschuldens orientiert. Im Recht der Leistungskürzung wegen einer Obliegenheitsverletzung findet sich in den §§ 28, 82 VVG der Rechtsgedanke, dass bei grober Fahrlässigkeit der Versicherungsnehmer i.d.R. einen Anteil an der Versicherungsleistung unter Berücksichtigung der Kürzungsquote erhält. Wenn zum Schutz des Versicherungsnehmers diesem bei dem Ersatz von Rettungskosten nur ein grob fahrlässiges Fehlverhalten schadet, ist es geboten, in diesem Bereich einen anteiligen Ersatz der Rettungskosten, allenfalls gekürzt um die an der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers orientierte Quote zuzusprechen (OLG Saarbrücken, Urt. v. 26.1.2011 – Az. 5 U 356/10 = zfs 2011, 331; LG Trier, Urt. v. 3.2.2010 – Az. 4 O 241/09 = zfs 2010, 510; vgl. auch Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn 77).

Hier kann unter Berü...

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