Rz. 36

Fällt dem Geschädigten ein Mitverschulden oder eine Mitverursachung zur Last und soll dessen eigener Vollkaskoversicherer neben dem Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallgegners in Anspruch genommen werden, führt dies unter Berücksichtigung des sog. Quotenvorrechts zu einer erheblichen Besserstellung des Geschädigten.

 

Rz. 37

Nimmt der Geschädigte zunächst seine Vollkaskoversicherung in Anspruch, ist § 86 Abs. 1 VVG zu beachten. Danach geht der dem Versicherungsnehmer zustehende Ersatzanspruch gegen den Schädiger in dem Maße auf den Versicherer über, in dem dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt. Gleicht also der Vollkaskoversicherer dem Geschädigten den etwa durch einen Verkehrsunfall erlittenen Fahrzeugschaden aus, geht der Anspruch des Geschädigten auf Schadensersatz gegen den Schädiger bzw. dessen Kfz-Haftpflichtversicherer in dieser Höhe auf den Kaskoversicherer über.

 

Rz. 38

Der Gesetzgeber regelt in § 86 Abs. 1 S. 2 VVG jedoch, dass sich der Forderungsübergang nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers auswirken darf. Folge des daraus resultierenden, von der Rechtsprechung entwickelten "Quotenvorrechts des Verletzten" ist, dass er Gläubiger des Anspruchs gegenüber dem Schädiger bleibt, soweit sein Schaden vom Versicherer nicht gedeckt worden ist. Der BGH[54] hat § 67 Abs. 1 S. 2 VVG a.F. i.S.d. sog. Differenztheorie ausgelegt. Danach geht der Ersatzanspruch nur insoweit auf den Kaskoversicherer über, als er zusammen mit der gezahlten Versicherungssumme den Schaden des Versicherungsnehmers übersteigt. Dies wird auch für § 86 Abs. 1 S. 2 VVG gelten, der wörtlich mit § 67 Abs. 1 S. 2 VVG a.F. übereinstimmt.

Mit anderen Worten: Reicht die Leistung des Kaskoversicherers nicht aus, um den sog. kongruenten, also den deckungsgleichen Fahrzeugschaden in voller Höhe auszugleichen, bleibt der Versicherungsnehmer bis zur Höhe des gesamten Fahrzeugschadens im Verhältnis zum Schadensverursacher anspruchsberechtigt. Nur in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags geht der Anspruch auf den Kaskoversicherer über.[55] Vereinbart der Mieter eines Kraftfahrzeugs mit dem Vermieter gegen Entgelt eine Haftungsbefreiung mit Selbstbeteiligung, so findet die Rechtsprechung zum Quotenvorrecht ebenfalls entsprechende Anwendung.[56]

 

Rz. 39

Zu den von der Rechtsprechung als deckungsgleich (kongruent) qualifizierten Schadenspositionen zählen:

der Fahrzeugschaden,
die merkantile Wertminderung,[57]
die Abschleppkosten,[58]
die Sachverständigenkosten.[59]

Nach einer Ansicht sind die bei der Verfolgung der Ersatzansprüche gegenüber der Vollkaskoversicherung anfallenden Rechtsanwaltsgebühren ebenfalls als kongruente Schadensposition anzusehen.[60]

 

Rz. 40

Muster 15.10: Anwaltskosten als kongruente Schadensposition

 

Muster 15.10: Anwaltskosten als kongruente Schadensposition

Die Kosten, welche durch die Verfolgung der Ersatzansprüche gegenüber der Vollkaskoversicherung durch einen Rechtsanwalt entstanden sind, stellen eine kongruente Schadensposition dar, die vom Quotenvorrecht erfasst wird (OLG Frankfurt, Urt. v. 8.2.2011 – Az. 22 U 162/08 = SP 2011, 291; OLG Jena, Urt. v. 26.10.2011 – Az. 7 U 1088/10 – juris; OLG Frankfurt, Urt. v. 9.10.2012 – Az. 22 U 109/11 = NJW-RR 2013, 664; LG Gera, Urt. v. 14.12.2011 = Az. 1 S 96/11). Insbesondere wenn ein Anwalt zur Verfolgung des Anspruchs gegenüber der Kaskoversicherung erforderlich ist, würde es dem Quotenvorrecht zuwiderlaufen, diese Position nur anteilig auszugleichen.

 

Rz. 41

Ein Teil der Rechtsprechung geht dagegen davon aus, dass die hier in Rede stehenden Anwaltskosten als Folgeschaden nicht vom Quotenvorrecht erfasst werden.[61]

 

Rz. 42

Muster 15.11: Anwaltskosten sind keine kongruente Schadensposition

 

Muster 15.11: Anwaltskosten sind keine kongruente Schadensposition

Die Kosten, welche durch die Verfolgung der Ersatzansprüche gegenüber der Vollkaskoversicherung durch einen Rechtsanwalt entstanden sind, stellen keine kongruente Schadensposition dar, die vom Quotenvorrecht erfasst wird (LG Wuppertal, Urt. v. 7.4.2010 – Az. 8 S 92/09 = zfs 2010, 519 = DAR 2010, 388; AG Köln, Urt. v. 5.7.2012 – Az. 274 C 22/12 = AGS 2012, 436; LG Bochum, Urt. v. 24.5.2011 – Az. 9 S 29/11 – juris). Die Ersatzforderung verbleibt nach der Zahlung des Kaskoversicherers beim Geschädigten nur hinsichtlich derjenigen Schadenspositionen, die ihrer Art nach in den Schutzbereich des Versicherungsvertrags fallen (sog. kongruente Schäden), während die verbleibenden Schadenspositionen nur nach der Haftungsquote zu erstatten sind. Die hier in Rede stehenden Anwaltskosten sind grundsätzlich kein von der Kaskoversicherung abgedeckter Schaden und unterfallen als Folgeposition im Haftpflichtfall nicht dem Quotenvorrecht.

 

Rz. 43

Bei allen anderen Schadenspositionen findet das Quotenvorrecht keine Berücksichtigung.[62] Werden also beispielsweise Ansprüche auf Ausgleich von Nutzungsausfallentschädigung, Mietwagenkosten oder Standgeld geltend gemacht, ist hierfür allein die dem Verkehrsunfall zugrunde liegende Haftu...

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