Rz. 35

Dieses sog. objektive Verschulden stellt nach dem Goslarer Orientierungsrahmen nur einen ersten Anhaltspunkt im Rahmen der Quotenbildung dar und ist ggf. zu ergänzen. So wird insbesondere auf Folgendes hingewiesen: "Das objektive Verschulden kann durch subjektive Umstände verringert oder gesteigert werden. In Betracht kommen:"

(1) Augenblicksversagen
(2) Besondere Gründe der Ablenkung
(3) Gesteigerte Risikobereitschaft“.
 

Rz. 36

Diese Kriterien entsprechen den Erwägungen innerhalb der Literatur[43] zu möglichen weiteren Abwägungsfaktoren, zu denen der Versicherungsnehmer zumindest im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast detailliert und schlüssig vorzutragen hat. Ein Abgrenzungskriterium bildet nach dem Willen des Gesetzgebers die Nähe der groben Fahrlässigkeit zu einem vorsätzlichen Verhalten des Versicherungsnehmers.[44] Ein wichtiges Indiz hierfür ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer sich seines gefährlichen Fehlverhaltens bewusst gewesen ist. Ist der Versicherungsnehmer sich seines riskanten Verhaltens bewusst und erkennt er zugleich die Möglichkeit der Verursachung des Versicherungsfalls, wird in Abgrenzung zum Vorsatz zu prüfen sein, ob er bei dem bewusst eingegangenen Risiko noch auf den guten Ausgang vertraut (bewusste Fahrlässigkeit) oder sich mit dem möglichen Schadenseintritt, ggf. im Bewusstsein seiner Absicherung über einen Leistungsträger, zumindest abgefunden hat (Eventualvorsatz).

 

Rz. 37

Ein geringerer Verschuldensvorwurf innerhalb der Spanne der groben Fahrlässigkeit wird den Versicherungsnehmer treffen, der sein Fehlverhalten aufgrund eines sog. Augenblicksversagens begangen hat.[45] Dieses ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Versicherungsnehmer im Rahmen einer momentanen Unaufmerksamkeit den Sorgfaltsanforderungen nicht gerecht wird, die er ansonsten immer anstandslos erfüllt hat. Nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung genügt ein solches Augenblicksversagen alleine nicht, um den Vorwurf eines grob fahrlässigen Fehlverhaltens zu entkräften, wenn objektiv eine grobe Fahrlässigkeit bewiesen ist.[46] Bei Annahme einer groben Fahrlässigkeit ist allerdings zur Entlastung bei der Quotenbildung ein solches Augenblicksversagen des Versicherungsnehmers zu seinen Gunsten zu berücksichtigen.[47]

 

Rz. 38

Muster 14.9: Kriterien der Bildung der Kürzungsquote

 

Muster 14.9: Kriterien der Bildung der Kürzungsquote

Für die Quotenbildung ist zu fragen, ob es sich eher um einen Grenzfall zur einfachen Fahrlässigkeit oder aber zum bedingten Vorsatz handelt (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511 = SP 2011, 300; OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.12.2010 – 5 U 147/10 = zfs 2011, 221; OLG Saarbrücken, Urt. v. 4.4.2013 – 4 U 31/12 = zfs 2013, 466; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.10.2014 – 4 U 165/13 = NJW-RR 2015, 411). Von besonderer Bedeutung ist dabei die vom Verhalten des Versicherungsnehmers ausgehende Gefahr als objektiver Gesichtspunkt und die damit einhergehende Leichtfertigkeit (OLG Naumburg, Beschl. v. 28.3.2011 – 4 W 12/11 = NJW-RR 2011, 901; OLG Saarbrücken, Urt. v. 30.10.2014 – 4 U 165/13 = NJW-RR 2015, 411; LG Münster, Urt. v. 24.9.2009 – 15 O 275/09 = DAR 2010, 473; LG Tübingen, Urt. v. 26.4.2010 – 4 O 326/09 = zfs 2010, 394; LG Saarbrücken, Urt. v. 18.2.2015 – 14 O 108/14 = SP 2016, 55). Dies erst recht, wenn es sich um einen offenkundigen Pflichtenverstoß handelt (KG Berlin, Beschl. v. 11.6.2010 – 6 U 28/10 = VersR 2011, 742; LG Bonn, Urt. v. 31.7.2009 – 10 O 115/09 = DAR 2010, 24; LG Essen, Urt. v. 11.7.2018 – 18 O 318/17 – juris; Nugel, MDR 2010, 597 ff. unter Bezugnahme auf den Goslarer Orientierungsrahmen). Dabei kann auch die normative Vorprägung durch die Wertung aus anderen Rechtsgebieten wie dem Strafrecht zu beachten sein (BGH, Urt. v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 = zfs 2011, 511 = SP 2011, 300; Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn 129 m.w.N.). Verschuldensmindernd ist dagegen das Ergreifen von getroffenen Sicherungsmaßnahmen, um einen Schaden zu verhindern (LG Magdeburg, Urt. v. 11.9.2018 – 11 O 217/18 – juris).

Für die Quotenbildung ist ferner die drohende Schadenshöhe von besonderer Bedeutung (OLG Hamm, Hinweisbeschl. v. 21.4.2010 – 20 U 182/09 = NJW-Spezial 2010, 297; vgl. auch LG Dortmund, Urt. v. 15.7.2010 – 2 O 8/10 = zfs 2010, 515). Einen gewichtigen Umstand bei der Quotenbildung stellt ferner die Dauer der Pflichtverletzung dar (OLG Hamm a.a.O.; LG Hechingen, Urt. v. 3.12.2012 – 1 O 124/12 = zfs 2013, 392; LG Essen, Urt. v. 11.7.2018 – 18 O 318/17 – juris). Je länger das Fehlverhalten dauert, desto schwerer wiegt das Verschulden (OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.12.2010 – 5 U 147/10 = zfs 2011, 221; LG Berlin, Urt. v. 5.12.2012 – 23 O 438/11 = VersR 2013, 998).

Dieses vorausgeschickt ergibt sich folgende Leistungskürzung: _________________________.

[43] Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, § 1 Rn 139 ff.
[44] Abschlussbericht der Reformkommission, S. 354 Nr. 13 zu § 83 VVG-E 2006.
[45] Felsch, r+s 2007, 485, 495; Nugel, MDR 2007, Sonderbei...

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