Rz. 26

Dem Gesetz ist auch nicht zu entnehmen, wie eine Quotenbildung bei mehreren grob fahrlässigen Pflichtverletzungen des Versicherungsnehmers zu erfolgen hat. Einigkeit besteht aber jedenfalls dahingehend, dass erst einmal für jede Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers als Abwägungsfaktor eine Quote zu bilden ist. Für das weitere Vorgehen werden sodann aber unterschiedliche Lösungswege erörtert:[28]

(1) Additionsmodell:[29] Die einzelnen Quoten sind bis zu einer Kürzungsquote von höchstens 100 % zu addieren.
(2) Eine Quotenmultiplikation nach dem Stufenmodell:[30] Die einzelnen Quoten sind in Stufen nacheinander mathematisch genau im Wege einer Multiplikation zu einer Gesamtquote zusammenzuführen.
(3) Gesamtabwägungsmodell:[31] Nach dieser Ansicht ist grundsätzlich eine Gesamtabwägung unter Berücksichtigung aller Erwägungen vorzunehmen. Allerdings gilt eine Ausnahme im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung:[32] Hier wären die Leistungskürzungen, die jeweils aus der Gruppe der Obliegenheitsverletzungen vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls folgen, zu addieren.
(4) Konsumtionsmodell:[33] Nur die schwerwiegendste Pflichtverletzung zählt und konsumiert die anderen.
 

Beispiel

Der Versicherungsnehmer begeht jeweils eine Obliegenheitsverletzung vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls. Die Obliegenheitsverletzung vor Eintritt des Versicherungsfalls wäre für sich gesehen mit einer Kürzungsquote von 60 %, die andere Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls mit 40 % zu erfassen.

(1) Nach der Additionstheorie ergibt sich eine Leistungsfreiheit von 100 %, zusammengesetzt aus 60 % + 40 %.
(2) Nach dem Stufenmodell ergibt sich eine Kürzungsquote von 76 %: Ausgangspunkt ist die Kürzungsquote wegen der ersten Obliegenheitsverletzung mit 60 %. Diese Quote ist noch einmal um 16 % (40 % von den verbleibenden 40 %), also auf insgesamt 76 % zu erhöhen.
(3) Nach der kombinierenden Auffassung dürfte eine Gesamtabwägung zu einer Leistungskürzung im Bereich von 70 %–90 % führen.
(4) Nach der Konsumtionstheorie wäre nur eine Kürzung in Höhe von 60 % wegen der schwerwiegendsten Obliegenheitsverletzung anzunehmen.
 

Rz. 27

Eine schlichte Addition der Kürzungsquoten benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen und führt sehr schnell dazu, dass bereits bei zwei Pflichtverletzungen von jeweils 50 % im Ergebnis über die Kürzungsquote von 100 % das "Alles-oder-Nichts-Prinzip" wieder eingeführt wird.[34] Anders ist dies jedoch bei dem Regress des Kfz-Haftpflichtversicherers: Hier ist anerkannt, dass die Regressbeträge des Versicherers wegen der Obliegenheitsverletzungen vor und nach Eintritt des Versicherungsfalls zu addieren sind.[35]

 

Rz. 28

Die von Felsch hervorgehobene Vorgehensweise der Konsumtion mag zwar für die Praxis die Lösung vereinfachen, verkennt aber, dass der Versicherungsnehmer mit mehreren Pflichtverstößen auch ein gesteigert schuldhaftes Verhalten an den Tag gelegt hat. Sie würde zudem den Versicherungsnehmer privilegieren, der mehrere (insbesondere gleichgewichtige) Obliegenheitsverletzungen begangen hat, und vermag daher nicht zu überzeugen. Eine pauschale Gesamtabwägung scheint sich daher in der Literatur durchzusetzen und ist ggf. als Berechnungsgrundlage durch das Stufenmodell zu ergänzen.[36]

 

Rz. 29

Muster 14.8: Gesamtquotenbildung

 

Muster 14.8: Gesamtquotenbildung

Vorzugswürdig ist bei mehreren Pflichtverletzungen, die jeweils für sich gesehen zu einer Leistungskürzung berechtigten, die Bildung einer sog. Gesamtquote. Hierzu wird für jede Pflichtverletzung erst einmal eine Einzelquote gebildet. Die so gebildeten Einzelquoten werden anschließend im Rahmen einer wertenden Betrachtung zu einer Gesamtquote zusammengeführt, die mehr als die höchste Einzelquote, aber weniger als die (reine) Summe der Einzelquoten ausmacht (LG Dortmund, Urt. v. 15.7.2010 – 2 O 8/10 = zfs 2010, 515; Nugel, Kürzungsquoten nach dem VVG, 2. Aufl. 2012, § 1 Rn 56 m.w.N.). Entscheidend ist dabei insbesondere, wie eng die begangenen Pflichtverletzungen miteinander verbunden sind (Nugel a.a.O.).

Für die erste Pflichtverletzung in Form der _________________________ ist, wie dargelegt, eine Kürzungsquote in Höhe von _________________________ %, für die zweite Pflichtverletzung in Form der _________________________ eine Quote von _________________________ % angemessen. Insgesamt sollte daher die zu bildende Gesamtquote deutlich unterhalb des Additionsbetrags von _________________________ %, jedoch zugleich höher als die höchste Einzelquote wegen der schwerwiegendsten Pflichtverletzung von _________________________ % liegen. Es überzeugt daher eine Gesamtquote von _________________________ %, wenn berücksichtigt wird, dass _________________________.

Bei der Verletzung mehrerer Obliegenheiten mit unterschiedlichem Kausalitätsumfang verbietet sich jede schematische Lösung. Hier ist die Kürzungsquote aufgrund einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände zu bestimmen, um den Besonderheiten des Einzelfalls gerecht ...

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