Rz. 76

Das Verfahren nach § 495a ZPO ist dadurch gekennzeichnet, dass das gesamte Verfahren nach billigem Ermessen durch das Gericht vorangetrieben werden kann. Daher verwundert es auch nicht, wenn die Anordnung des Verfahrens nach billigem Ermessen überhaupt, wie auch die Handhabung von Gericht zu Gericht, ja sogar innerhalb eines Gerichts von Richter zu Richter unterschiedlich ausfällt.[40]

 

Rz. 77

Dabei stellt das vereinfachte Verfahren gegenüber dem normalen Erkenntnisverfahren kein aliud dar, sondern ermächtigt das Gericht, von Fall zu Fall von einzelnen Vorschriften des normalen Erkenntnisverfahrens abzuweichen.

 

Rz. 78

Dem freien Ermessen bei der Verfahrensgestaltung durch das Gericht sind jedoch Grenzen gesetzt, insbesondere wo verfassungsrechtliche Grundsätze berührt sind.[41]

 

Rz. 79

Zunächst einmal muss das Gericht den Parteien mitteilen, dass es das Verfahren nach billigem Ermessen führen will.[42] Dabei ist das Gericht nicht gezwungen, bereits zu Beginn des Verfahrens eine entsprechende Anordnung zu treffen, dass es nach billigem Ermessen verfahren will. Auch zu jedem späteren Zeitpunkt ist dies noch möglich. So wird von den Gerichten teilweise das Verfahren nach § 495a ZPO erst im Urteil oder unmittelbar davor angeordnet, um das Urteil abgekürzt absetzen zu können.[43] Die Mitteilungspflicht folgt aus dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Bei einem Verstoß hiergegen ist die Gehörsrüge nach § 321a ZPO begründet. Das Gericht ist daher z.B. gehindert, zunächst das schriftliche Vorverfahren (§ 276 ZPO) anzuordnen und dann ohne mündliche Verhandlung ein Endurteil zu fällen, in dem dann auch, ohne dass die Parteien vorher darauf hingewiesen wurden, das Verfahren nach billigem Ermessen angeordnet wird. In einem solchen Fall ist es den Parteien nicht möglich, einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 495a S. 2 ZPO zu stellen.[44]

 

Rz. 80

 

Tipp

Wenn Sie einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, nehmen Sie ausdrücklich Bezug auf § 495a ZPO, da dies teilweise gefordert wird, um Verwechslungen zu vermeiden.[45]

 

Rz. 81

Das Verfahren nach § 495a ZPO wird hauptsächlich angeordnet, um eine mündliche Verhandlung entbehrlich zu machen. Dabei werden – dem gesetzgeberischen Zweck der Beschleunigung entsprechend – häufig kurze Fristen zur Stellungnahme gesetzt.[46] Auch hier dürfen die Fristen jedoch nicht so kurz bemessen sein, dass eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vorliegt. Bei einem Verstoß wäre auch hier die Gehörsrüge nach § 321a ZPO begründet. In diesem Zusammenhang ist für den Anwalt entscheidend, dass auch im Verfahren nach § 495a ZPO die Verspätungsregeln (§§ 296, 296a ZPO) uneingeschränkt gelten. Das Gericht kann daher im Verfahren nach § 495a ZPO auch nur dann Vorbringen als verspätet zurückweisen, wenn die Voraussetzungen der §§ 296, 296a ZPO tatsächlich vorliegen.[47]

 

Rz. 82

Auch bei der Durchführung der Beweisaufnahme ist das Gericht weitestgehend frei. Allerdings wird auch hier im Regelfall das Gericht den Parteien mitteilen müssen, dass eine Beweisaufnahme stattfindet. Gerade bei der Durchführung einer notwendigen Beweisaufnahme wollte der Gesetzgeber für derartige "Bagatellverfahren" eine Bindung des Gerichts an die Vorschriften der ZPO über die Beweisaufnahme ausschalten.[48]

 

Rz. 83

Im Rahmen einer Beweisaufnahme besteht für das Gericht z.B. die Möglichkeit, Zeugen telefonisch zu vernehmen. Das Ergebnis einer derartigen Vernehmung ist den Parteien jedoch mitzuteilen. Dies ist schon deshalb erforderlich, um den Parteien Gelegenheit zu geben, von ihrem Fragerecht Gebrauch zu machen. Gegebenenfalls muss das Gericht den Zeugen die Fragen der Parteien (telefonisch) stellen.

 

Rz. 84

Das Gericht muss auch nicht sämtliche angebotenen Beweise einer Partei zu einer streitigen Tatsache erheben.[49] Das Gericht kann z.B. nach Vernehmung eines Teils der Zeugen, die das Beweisthema bestätigt haben, auf die Vernehmung der ebenfalls zu diesem Beweisthema benannten Zeugen verzichten. Auch kann es nach Einholung eines Sachverständigengutachtens auf die Vernehmung der ebenfalls zu diesem Beweisthema benannten Zeugen verzichten, wenn es dies nicht mehr für erforderlich hält.

 

Rz. 85

Das Gericht muss jedoch auch die Parteien darauf hinweisen, dass eine weitere Beweisaufnahme nicht beabsichtigt ist und die weiteren angebotenen Beweise nicht erhoben werden. Sie können dann, wenn Sie eine Beweiswürdigung des Gerichts zulasten Ihrer Mandantschaft annehmen, nur anregen, auch die weiteren Zeugen zu vernehmen. Ob das Gericht dem allerdings folgt, liegt erneut im freien Ermessen des Gerichts.

 

Rz. 86

Eine Glaubhaftmachung der zu beweisenden Tatsachen reicht jedoch auch im Verfahren nach billigem Ermessen nicht aus.[50]

 

Rz. 87

 

Tipp

Sollte das Gericht Ihnen mitteilen, dass eine Beweisaufnahme durch eine Zeugenvernehmung stattfindet, sollten Sie überlegen, ob Sie es für erforderlich halten, bei dieser Zeugenvernehmung anwesend zu sein, und in diesem Fall einen Antrag auf mündliche Verhandlung nach § 495a S. 2 ZPO stell...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge