Rz. 206

Gerade Spätfolgen und Risiken bei den einzelnen Verletzungen werden viel zu wenig beachtet. Anwälte, die leichtfertig den Mandanten dazu raten, eine vorbehaltlose Abfindungserklärung zu unterschreiben, bedenken oftmals derartige Risiken nicht.

 

Rz. 207

Objektiv vorhersehbare Folgen aus der Regulierung des Personenschadens aus Unkenntnis auszuklammern, kann erhebliche negative Folgen für das Schmerzensgeld, den Haushaltsführungsschaden, den Erwerbsschaden sowie auch die vermehrten Bedürfnisse und sogar die Pflege haben, wenn sich derartige Risiken, die die einzelnen Verletzungen in sich bergen, tatsächlich realisieren.

 

Rz. 208

Es gibt in diesem Bereich zwei Handlungsalternativen. Die eine ist, der Anwalt vereinbart entsprechende Vorbehalte mit der Wirkung eines gerichtlichen Feststellungsurteils für die Zukunft unter Verzicht auf die Einrede der Verjährung. Die zweite Möglichkeit ist, der Geschädigte unterschreibt gleichwohl eine vorbehaltlose Abfindungserklärung, wobei er in Absprache mit seinem Anwalt und nach entsprechender Aufklärung über die Risiken sich diesen Vorbehalt vom Versicherer "abkaufen" lässt. Dies kann für den Geschädigten einen erheblichen finanziellen Vorteil haben, da sich die möglichen Risiken und Spätfolgen nicht immer realisieren.

 

Rz. 209

Man stelle sich einmal vor, der Geschädigte hat eine vorbehaltlose Abfindungserklärung unterschrieben und die Sache ist für den Versicherer beendet. Nach einiger Zeit tritt eine Nekrose ein mit der sich ergebenden Konsequenz, dass es zu einer Totalendoprothese kommt oder gar zu einer Amputation. In diesem Fall hat dies erhebliche Auswirkungen auf das Leben des Geschädigten. Dieser kann seinen Beruf nicht mehr ausüben und ist im Haushalt erheblich eingeschränkt.

 

Rz. 210

Die nachfolgenden 7 Tipps sollen dem Anwalt helfen, alle Facetten eines medizinischen Sachverhalts zu ergründen, um so die Ansprüche des verletzten Mandanten optimal zu regulieren.

I. Was ist dauerhaft geschädigt? Was bedeutet dies für den Geschädigten in Beruf und Alltag?

 

Rz. 211

Dies ist grundsätzlich immer die erste Frage. Es ist zu prüfen, welche Verletzung der Geschädigte hat. Kommt es zu einem Dauerschaden oder ist die Verletzung vollständig ausgeheilt? Es ist zu prüfen, ob das Bein, der Finger, der Arm, die Schulter, die Zehen, der Kopf, das Becken oder die Wirbelsäule dauerhaft geschädigt sind. Wenn es zu einer dauerhaften Schädigung gekommen ist, muss gefragt werden, ob dies Auswirkungen auf den Alltag oder auf den Beruf des Geschädigten hat. Welche berufliche Zukunftsprognose ist möglich? Was ist geplant? Stehen Veränderungen an? Kann er den Beruf und seinen Alltag mit dem Dauerschaden bewerkstelligen? Es ist immer zu prüfen, wie Beruf und Verletzungsbild des Geschädigten zusammenpassen oder eben auch nicht. Hierbei sind mögliche Spätfolgen unter Berücksichtigung ärztlicher Einschätzung einzubeziehen (siehe auch II.). Bei der Beurteilung, wie die dauerhafte Entwicklung sein wird, ist selbstverständlich auch das Alter des Mandanten zu berücksichtigen. Ein junger Mensch kann möglicherweise seinen Beruf mit dieser Verletzung noch einige Zeit, manchmal bis zu zehn oder zwanzig Jahren ausüben. Es ist jedoch angesichts vieler Verletzungsbilder bereits zum Schadenszeitpunkt vorhersehbar, dass der Beruf nicht bis zum Erreichen des Rentenalters ausgeübt werden kann. Dies ist bei der Regulierung zu berücksichtigten.

 

Rz. 212

Diese Fragen sind immer in Rücksprache mit den behandelnden Ärzten zu besprechen. Deshalb ist auch der folgende zweite Tipp von Bedeutung.

II. Rücksprache Facharzt/Arztliste

 

Rz. 213

Juristen, die Personengroßschäden bearbeiten, sind zwar in der Regel durch die langjährige Arbeit medizinisch ganz gut informiert. Keinesfalls ersetzt dies jedoch ein Medizinstudium oder gar eine Facharztausbildung. Von daher ist es zwingend notwendig, dass bei sämtlichen Bereichen eine Rücksprache mit dem entsprechenden Facharzt getroffen wird. Es ist zu prüfen, welche Komplikationen, Spätfolgen und Risiken neben den bekannten zusätzlich noch auftreten können. Es ist hier auch an entsprechende wissenschaftliche Abhandlungen zu denken, da die Medizin sich permanent weiterentwickelt und es zum Beispiel auch im positiven Sinne erhebliche Weiterentwicklungen für den Patienten oder Geschädigten gibt. So vertreten einige namhafte Mediziner die Auffassung, dass sogar Querschnittsgelähmte eines Tages wieder laufen können, weil die Wissenschaft in der Rückenmarkforschung sehr fortgeschritten ist.

 

Rz. 214

Anwälte, die Personenschäden bearbeiten, sollten daher immer mit Fachärzten zusammenarbeiten. Es gibt mittlerweile für fast jeden Bereich Fachärzte. Es ist daher entsprechend den Verletzungen mit einem Unfallchirurgen, Neurologen, Internisten, Orthopäden, Psychotherapeuten, Radiologen, HNO-Facharzt, Urologen etc. zusammenzuarbeiten. Es gibt auch Spezialisten im Mund-Kiefer-Bereich. Es gibt einen Neurochirurgen sowie einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Insofern sollte der Kontakt zu den verschiedenen medizinischen Fachbereichen aufgebaut werden. Versicherer arbeiten ebenfalls nach diesem Mus...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge