1. Die Akteneinsicht nach § 299 Abs. 1 ZPO durch die Prozessparteien

 

Rz. 603

Im Laufe des Verfahrens kann sich für die Parteien immer wieder die Notwendigkeit ergeben, in die Prozessakten Einsicht zu nehmen. So etwa um festzustellen, ob richterliche Verfügungen oder Vermerke geeignet sind, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen, oder ob richterliche Hinweise nach § 139 ZPO dokumentiert wurden. Unter dem Gesichtspunkt der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann zu klären sein, ob Fristen in Gang gesetzt und Zustellungen wirksam bewirkt wurden. Letztlich kann es in der Sache erforderlich sein, Fotos oder sonstige Unterlagen aus der Gerichtsakte zur Kenntnis zu nehmen. Aber auch nach dem Abschluss des Verfahrens kann ein solcher Anlass bestehen.[472]

 

Rz. 604

Nach § 299 Abs. 1 ZPO können die Parteien eines Rechtsstreits die Prozessakten jederzeit einsehen und sich von der Geschäftsstelle Ausfertigungen, Auszüge und Abschriften erteilen lassen. Probleme zeigt die Praxis hier – soweit ersichtlich – nicht.

 

Rz. 605

 

Hinweis

Der Anspruch einer Prozesspartei auf rechtliches Gehör wird verletzt, wenn ihr Schriftsätze des Gegners, die zu den Akten gereicht worden sind, entgegen § 270 S. 1 ZPO nicht vollständig mitgeteilt werden. Dieser Eingriff in die prozessualen Rechte der Partei kann nicht dadurch kompensiert werden, dass ihrem Prozessvertreter die Akteneinsicht auf der Geschäftsstelle des Gerichts gestattet wird.[473]

 

Rz. 606

Aus den Regelungen der ZPO über das Akteneinsichtsrecht und die Prozessvollmacht ergibt sich, dass eine Aktenversendung im Zivilprozess regelmäßig als durch die Partei beantragt anzusehen sein wird, so dass Auslagenschuldner für die Aktenversendungspauschale die Partei selbst ist und nicht deren Prozessbevollmächtigter.[474]

[472] OLG München OLGR München 2009, 521.
[473] OLG München OLGR 2005, 212 = NJW 2005, 1130.
[474] OLG Düsseldorf AGS 2008, 291 = JurBüro 2008, 375 = OLGR Düsseldorf 2008, 472.

2. Die Akteneinsicht nach § 299 Abs. 2 ZPO durch Dritte

 

Rz. 607

Auch Dritte können ein Interesse an der Einsicht in Prozessakten haben. Dieses Recht ist allerdings für nicht am Prozess beteiligte Dritte nach § 299 Abs. 2 ZPO eingeschränkt.

 

Rz. 608

 

Hinweis

In Zivilsachen kann der Gerichtsvorstand am Verfahren nicht beteiligten Dritten regelmäßig anonymisierte Abschriften von Urteilen und Beschlüssen erteilen, ohne dass dies den Anforderungen an die Gewährung von Akteneinsicht gemäß § 299 Abs. 2 ZPO unterliegt.[475]

 

Rz. 609

Hier besteht ein Akteneinsichtsrecht nur, wenn:

die Prozessparteien der Akteneinsichtsgewährung zustimmen,
bei Verweigerung der Zustimmung durch die Prozessparteien ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.
 

Rz. 610

Ein rechtliches Interesse liegt vor, wenn ein auf einer Rechtsnorm beruhendes oder durch eine solche geregeltes, gegenwärtiges bestehendes Verhältnis des Dritten zu einer der Prozessparteien oder dem Prozessgegenstand besteht.[476]

 

Rz. 611

Ein solches rechtliche Interesse wird bei einem reinen Ausforschungsinteresse aus wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gründen oder reiner Neugier verneint. Hinsichtlich des wirtschaftlichen Interesses wird dies auch dann angenommen, wenn die Akteneinsicht Grundlage der Inanspruchnahme einer der Parteien durch den Dritten sein soll.[477] Es bedarf jedoch eines Bezugs zum Prozessstoff.[478]

 

Rz. 612

Dagegen ist das rechtliche Interesse zu bejahen, wenn:

eine der Prozessparteien sich auf die einzusehenden Prozessakten zwischen ihr und einem Dritten beruft,[479]
ein wissenschaftliches Interesse an dem Prozess besteht,[480]
ein Sachverständiger sich über den Ausgang des Prozesses informieren will, an dem er beteiligt war,[481]
der Dritte ein berechtigtes Informationsbedürfnis hat, weil dem Prozess ein ähnlicher Rechtsfall zugrunde liegt wie in einer eigenen Angelegenheit,[482]

ein Gläubiger die Insolvenzakten des Schuldners wegen eines bereits mangels Masse abgelehnten Verfahrens einsehen möchte, um seine weiteren Vollstreckungsmöglichkeiten und Chancen abzuschätzen,[483]

 

Hinweis

§ 882f ZPO stellt im Verhältnis zu § 299 ZPO eine Sondervorschrift dar und erfordert eine Registrierung.

 

Hinweis

Einer an einem vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erledigten Insolvenzantrag nicht beteiligten dritten Person ist Akteneinsicht in die Insolvenzakte gem. § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 2 ZPO zu gewähren, wenn es sich bei der Schuldnerin nicht um eine natürliche Person, sondern um eine nach erfolgter Löschung im Handelsregister nicht mehr bestehende GmbH handelt. Durch die Löschung sind die Geheimhaltungsinteressen hinter das überwiegende rechtliche Interesse des Antragstellers zurückgetreten.[484]

ein Inhaber von Forderungen von einem Gericht Auskunft darüber begehrt, ob Verfahren, in denen sein Schuldner selbst als Kläger auftritt, anhängig sind, weil er die Absicht hat, in diese Forderungen zu vollstrecken.[485]
[475] BGH NJW 2017, 1819 f.
[476] BGHZ 4, 323.
[477] OLG Saarbrücken NJW-RR 2001, 931; KG NJW 1988, 1738; OLG Brandenburg NZI 2003, 36.
[478] Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl., 2018, § 299 Rn 6a.
[479] OLG Saarbrücken NJW-RR 2001, 931.
[480] OLG Saarbrücken O...

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