Rz. 555

Diese Fallgruppe nimmt an Bedeutung zu, da § 139 ZPO und die Verpflichtung des Richters, auf eine gütliche Einigung hinzuwirken, nach § 278 ZPO mit der damit begründeten Notwendigkeit, Hinweise zum möglichen Verfahrensausgang zu geben, den Richter verstärkt zu Hinweisen veranlassen und verpflichten.

 

Rz. 556

Aus diesem Sachverhalt ergibt sich sogleich, dass allein die Wahrnehmung der richterlichen Hinweispflicht nach § 139 ZPO oder der Verpflichtung zur Erörterung des Sach- und Streitstandes keine Besorgnis der Befangenheit begründen kann.

 

Rz. 557

Insoweit sind unbeanstandet geblieben:

der Hinweis auf die mögliche Vorlage der Akten an die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts einer Urkundenfälschung durch eine Partei;[406]

der Hinweis auf eine mögliche Verjährung des streitgegenständlichen Anspruchs;[407]

 

Hinweis

Insbesondere bei dem Hinweis des Gerichts auf Einreden weist die Mandantschaft selbst den Bevollmächtigten regelmäßig auf die Besorgnis der Befangenheit des erkennenden Richters hin. Es muss jedoch beachtet werden, dass das Befangenheitsgesuch der Partei in diesem Fall nicht mehr hilft. Selbst wenn der Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit erfolgreich abgelehnt werden würde, änderte sich nichts daran, dass die gegnerische Partei in der Lage ist, aufgrund des einmal erteilten Hinweises die Einrede zu erheben und so den streitgegenständlichen Anspruch oder die entsprechende Rechtsverteidigung zu Fall zu bringen.

 

Tipp

Der Bevollmächtigte sollte sich also darauf konzentrieren, geltend zu machen, dass der Anspruch tatsächlich nicht verjährt ist oder aber der gegnerischen Partei es aus bestimmten Gründen, wie etwa der Verwirkung oder Treu und Glauben, verwehrt ist, sich auf die Verjährung zu berufen. Dies kann etwa damit begründet werden, dass die Partei sich weder vorgerichtlich noch im Laufe des Prozesses bis zu dem Hinweis auf die Verjährung berufen hat und deshalb der Kläger darauf vertrauen konnte, dass der Verjährungseinwand nicht erhoben wird.

die Einbeziehung eines Anspruchs, der im Prozess nicht geltend gemacht worden ist, in einen Vergleichsvorschlag;[408]
das Hinwirken auf sachdienliche Anträge. Dies auch, wenn dadurch die Prozesschancen einer Partei sinken;[409]
die Erteilung von Hinweisen im Rahmen eines Beschlusses nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO, wenn die Ausführungen im Hinweisbeschluss den Streitstoff nicht erschöpfend behandeln und das Vorbringen der Partei nur unzureichend gewürdigt wird, soweit nicht erkennbar ist, dass der Richter auf die Stellungnahme der Partei seine Aufführungen nicht überprüft.[410]
 

Rz. 558

Demgegenüber kann die Besorgnis der Befangenheit gegeben sein, wenn der Richter der Partei:

einen neuen Klagegrund mitteilt,
rät, Anschlussberufung einzulegen,
anregt, einen weiteren, näher bestimmten Zeugen zu benennen,
eine Abtretung nahe legt, um das Problem der Aktivlegitimation zu umgehen,[411]
einen schriftlichen Hinweis erteilt, dass die Klage gegen den derzeitigen Beklagten unschlüssig sein könnte, allerdings ein Amtshaftungsanspruch gegen einen (am Prozess noch nicht beteiligten) Dritten "nahezu in vollständiger Höhe durchgehen dürfte".[412]
in einem Arzthaftungsprozess in der Güteverhandlung darauf hinweist, dass eine Haftung des Beklagten unter mehreren Gesichtspunkten – insbesondere auch wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht – in Betracht komme, ohne dass dies im Vorbringen des Klägers auch nur angedeutet wurde.[413]

da in diesen Fällen die Distanz zu den Parteien und dem Streitgegenstand nicht mehr gewahrt wird und die gesetzlichen Hinweispflichten solche Ratschläge nicht mehr decken.

[406] KG MDR 2001, 107.
[407] KG NJW 2002, 1732; BGH NJW 1998, 612; OLG Bremen NJW 1986, 999; OLG Hamburg NJW 1984, 2710.
[408] KG MDR 1999, 253.
[411] OLG Frankfurt/M. NJW 1970, 1884.
[413] OLG Saarbrücken ZMGR 2008, 169.

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