Rz. 479

Nach § 148 ZPO kann das Gericht den Rechtsstreit von Amts wegen, aber auch auf "Anregung" der Parteien aussetzen, wenn ein anderweitiger Rechtsstreit anhängig ist, dessen Gegenstand eine Vorfrage des auszusetzenden Rechtsstreits betrifft. Das Gleiche gilt, wenn eine Vorfrage durch eine Verwaltungsbehörde zu entscheiden ist.

 

Rz. 480

Die Vielzahl der veröffentlichten Entscheidungen zu § 148 ZPO zeigt, dass dies eine hohe praktische Relevanz hat. Dies ergibt sich daraus, dass die Aussetzung regelmäßig zu einer erheblichen Verzögerung des Rechtsstreits führt, was für die klagende Partei misslich ist, dagegen von der beklagten Partei regelmäßig begrüßt wird.

 

Rz. 481

Gesetzliche Fälle der Vorgreiflichkeit sind zunächst in §§ 152154 ZPO geregelt. Danach ist der Rechtsstreit auszusetzen, wenn:[327]

der Rechtsstreit davon abhängig ist, ob eine Ehe aufhebbar ist und die Aufhebung in einem anderen Verfahren beantragt ist, § 152 ZPO,
der Rechtsstreit von der Frage abhängig ist, ob ein Mann, dessen Vaterschaft im Wege der Anfechtungsklage angefochten ist, der Vater des Kindes ist, § 153 ZPO,
streitig ist, ob zwischen den Parteien eine Ehe oder eine Lebenspartnerschaft, ein Eltern- und Kindschaftsverhältnis besteht und ob der einen oder der anderen Partei die elterliche Sorge zusteht, § 154 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO.
 

Rz. 482

Darüber hinaus kommt eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO in Betracht, wenn:[328]

die Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung erklärt werden soll;[329]

die hilfsweise Aufrechnung mit einer bereits anderweitig beklagten Forderung erklärt wird;[330]

 

Hinweis

Nach Auffassung des BGH ist es bei einer doppelten Prozessaufrechnung im Allgemeinen zweckmäßig, den zweiten Prozess bis zur Erledigung desjenigen Verfahrens auszusetzen, in dem die erste Aufrechnung erklärt wurde. Das gelte auch dann, wenn die Zweitaufrechnung in einem Urkundenprozess erfolgt sei.[331]

das Hauptsacheverfahren zu einem Verfügungs- bzw. Arrestverfahren anhängig ist. Dann kann das Verfahren, in dem der Verfügungskläger Kostenerstattung verlangt, so lange ausgesetzt werden, bis über das Hauptsacheverfahren entschieden ist;[332]
der Bauwillige Schadensersatzansprüche gegen die Gemeinde wegen der Verweigerung des Einvernehmens geltend macht. Dann kann dieser Rechtsstreit ausgesetzt werden, bis im Verwaltungsrechtstreit über die wirksame Ersetzung des Einvernehmens entschieden ist;[333]
die Gefahr divergierender Entscheidungen besteht und diese Gefahr nur durch eine Aussetzung des Urkundenverfahrens gebannt werden kann;[334]
der Gegenstand des Verfahrens bereits Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist und das aussetzende Gericht ebenfalls von einer Verfassungswidrigkeit des anzuwenden Gesetzes ausgeht;[335]

die entscheidungserhebliche Auslegungsfrage Gegenstand eines beim EuGH anhängigen Vorabentscheidungsersuchens ist;[336]

 

Hinweis

Der Umstand, dass beim Bundesgerichtshof ein Revisionsverfahren anhängig ist, in dem über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung auch die Entscheidung eines zweiten Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt die Aussetzung der Verhandlung des zweiten Rechtsstreits dagegen grundsätzlich nicht.[337] Anderer Ansicht ist zumindest für Massenverfahren das OLG Koblenz.[338]

der Beklagte ein schlüssiges Zurückbehaltungsrecht wegen eines Anspruchs auf Zugewinnausgleich geltend macht. Dann kann ausgesetzt werden, bis über diesen Anspruch entschieden ist;[339]
der Wechselgläubiger aus dem der Wechselbegebung zugrunde liegenden Kausalverhältnis klagt, zugleich jedoch anderweitig das Nachverfahren zum anhängig gebliebenen Wechselverfahren betrieben wird;[340]
ein Ehegatte über ein Anrecht verfügt, in dessen Ehezeitanteil eine auf dieser unwirksamen Übergangsregelung berechnete Startgutschrift enthalten ist, ist das Verfahren über den Versorgungsausgleich grundsätzlich entsprechend § 148 bis zu einer Neuregelung der Berechnungsgrundlage auszusetzen;[341]
mit einer rechtskräftigen Entscheidung in einem Verwaltungsrechtsstreit zugleich mit Bindungswirkung für die Zivilgerichte entschieden wird, ob eine Ordnungsverfügung rechtmäßig oder rechtswidrig gewesen ist, ist dieser Rechtsstreit vorgreiflich i.S.d. § 148 ZPO.[342]
 

Rz. 483

Streitig ist, ob das Gericht ein Verfahren nach § 148 ZPO aussetzen darf, wenn eine vom Gericht der Hauptsache für beweiserheblich gehaltene Tatsache in einem selbstständigen Beweisverfahren geklärt werden soll.[343]

 

Hinweis

Eine Aussetzung des Rechtsstreits wegen eines anhängigen selbstständigen Beweisverfahrens kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn der Rechtsstreit sich gegen mehrere Beklagte richtet, die jedoch nicht alle am selbstständigen Beweisverfahren beteiligt sind. In diesem Fall ist das Ergebnis des selbstständigen Beweisverfahrens nämlich nicht gegen alle Beklagten verwendbar.[344]

 

Rz. 484

Da das Prozessgericht nicht in jedem Fall Kenntnis von dem vorgreiflichen Verfahren haben wird, ist ...

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