Rz. 385

Nicht selten ergibt sich erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung bzw. Beweisaufnahme, dass sich eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits anbietet. Wurde diese Möglichkeit mit dem Mandanten im Einzelnen noch nicht erörtert und ist dieser auch nicht im Termin zur mündlichen Verhandlung anwesend, so dass diese Erörterung nicht unmittelbar bzw. in einer kurzen Unterbrechung der Verhandlung nachgeholt werden kann, bleibt dem Bevollmächtigten regelmäßig nur die Möglichkeit, den Vergleich unter dem Vorbehalt des Widerrufs zu schließen.[253]

 

Rz. 386

Der Widerrufsvorbehalt stellt dabei eine aufschiebende Bedingung für die Wirksamkeit des Prozessvergleichs dar.

 

Rz. 387

Widerrufsempfänger ist im Hinblick auf die materiell-rechtliche Wirkung des Vergleichs grundsätzlich der Prozessgegner. Allerdings sind die Parteien berechtigt, den Widerrufsempfänger durch Vereinbarung festzulegen. Dies entspricht der gerichtlichen Praxis, indem regelmäßig im Vergleich festgehalten wird, dass der Widerruf "gegenüber dem Gericht" zu erklären ist. Seit der ZPO-Reform wird auch vertreten, dass der Widerruf sowohl gegenüber der gegnerischen Partei als auch dem Gericht möglich sei.[254] Schon zur Vermeidung von Haftungsfällen wird in jedem Fall empfohlen, den Adressaten einer Widerrufserklärung im Vergleich ausdrücklich zu benennen.

 

Rz. 388

 

Hinweis

Beachtet werden muss, dass grundsätzlich dann der Eingang des Schriftsatzes bei dem Gericht ausreichend ist. Wird im Vergleich jedoch formuliert, dass Widerspruchsadressat "der erkennende Senat" oder "die erkennende Kammer" ist, so ist der Widerruf erst dann erklärt, wenn dieser bei dem Sitz des erkennenden Senates oder der erkennenden Kammer eingeht. Dies bedeutet, dass bei einem auswärtigen Senat oder einer auswärtigen Kammer es für die Frage der Rechtzeitigkeit nicht darauf ankommt, wann der Widerruf bei dem Stammgericht eingegangen ist, sondern wann der Eingang bei dem entsprechenden Senat oder der Kammer zu verzeichnen ist.[255]

 

Rz. 389

Hinsichtlich der Widerrufsfrist empfiehlt sich, ein konkretes Datum zu vereinbaren und dies mit dem Zusatz "(Eingang bei Gericht)" zu versehen, um spätere Streitfragen um die Rechtzeitigkeit des Widerrufs zu vermeiden. Anderenfalls bestimmt sich die Fristberechnung nach den §§ 187 ff. BGB.

 

Rz. 390

Hat eine Partei die Widerrufsfrist unverschuldet versäumt, so ist nach überwiegender Auffassung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, d.h. in die Widerrufsfrist nach § 233 ZPO nicht möglich, da es sich bei der Wiedereinsetzungsfrist weder um eine Notfrist noch um eine sonstige Frist im Sinne der §§ 233, 223 ZPO, sondern um eine von den Parteien gesetzte Frist handelt.

 

Rz. 391

 

Hinweis

Die Vereinbarung der Widerrufsfrist stellt allerdings einen Teil der materiell-rechtlichen Vereinbarung der Parteien dar, so dass es den Parteien ohne Beteiligung des Gerichts möglich ist, die Widerrufsfrist zu verlängern.[256] Dies bedeutet zugleich, dass das Gericht selbst nicht befugt ist, die Widerrufsfrist zu verlängern.[257]

 

Rz. 392

 

Tipp

Auch wenn es der Zustimmung des Gerichts zur Fristverlängerung nicht bedarf, sollte dieses über die einvernehmliche Verlängerung der Widerrufsfrist informiert werden, damit seitens des Gerichts weitere Maßnahmen, insbesondere der Erlass einer Entscheidung, vermieden werden.

 

Rz. 393

Beim Abschluss eines Widerrufsvergleichs muss beachtet werden, dass verschiedene Regelungen materiell-rechtlicher Natur bedingungsfeindlich sind und deshalb nicht in einen Widerrufsvergleich aufgenommen werden können.

 

Rz. 394

 

Beispiel

So könnte die Auflassung eines Grundstücks gem. § 925 BGB nicht unter einer Bedingung erklärt werden, so dass die entsprechende Auflassungserklärung nicht in einen gerichtlichen (protokollierten) Vergleich mit Widerrufsvorbehalt aufgenommen werden kann.[258]

 

Rz. 395

 

Hinweis

Es ist nicht möglich bei der Feststellung eines Vergleichs gem. § 278 Abs. 6 ZPO eine Auflassung wirksam zu erklären, da es hierzu gem. § 925 BGB der gleichzeitigen Anwesenheit der Parteien bedürfte, was bei der Schriftlichkeit nicht der Fall ist.[259]

Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher auf einen in der mündlichen Verhandlung protokollierten Vergleich.

 

Rz. 396

 

Tipp

Der Bevollmächtigte kann in dieser Situation unterschiedlich reagieren, um die Unwirksamkeit der Auflassungserklärung zu vermeiden:

Zunächst kann das Gericht um die Vertagung des Rechtsstreits gebeten werden, um die offenen Fragen zu klären bzw. den Vergleichsabschluss mit dem Mandanten zu erörtern.
Es kann weiterhin beantragt werden, dass Verfahren zum Ruhen zubringen. Diese Verfahrensweise empfiehlt sich insbesondere dann, wenn nicht nur der Vergleichsabschluss mit dem Mandanten zu erörtern ist, sondern gegebenenfalls weitere Fragen, etwa steuerrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur, zu klären sind. Aber Achtung bei § 204 Abs. 2 BGB: Nach sechs Monaten endet die Hemmung der Verjährung, was der Bevollmächtigte überwachen muss!
Die Parteien können das Gericht bitten, ein...

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