Rz. 38

Vor der ZPO-Reform war streitig, wie die Konstellation zu behandeln ist, dass sich die Klage in der Hauptsache ganz oder teilweise durch ein Ereignis erledigt hat, welches nach Anhängigkeit, aber vor Zustellung der Klage eingetreten ist. Diese Streitfrage hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO entschieden. Erledigt sich die Hauptsache nach Anhängigkeit und vor Rechtshängigkeit der Klage kann der Kläger die Klage zurücknehmen und so eine Kostenentscheidung nach billigem Ermessen durch das Gericht eröffnen.[44]

 

Rz. 39

 

Hinweis

Nach Ansicht des OLG München ist § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO anwendbar, wenn das erledigende Ereignis bereits vor Anhängigkeit entfallen ist.[45]

 

Rz. 40

 

Hinweis

Das OLG Brandenburg hält § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO für verfassungswidrig. Sie verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 GG, da sie es dem Kläger ohne Prozessrechtsverhältnis erlaube, einen Kostenerstattungsanspruch zu erlangen.[46] Diese Auffassung ist bisher vereinzelt geblieben und erwartet eine höchstrichterliche Klärung. Es bleibt den Parteien insoweit unbenommen, sich diese Auffassung zu eigen zu machen. Sie überzeugt im Ergebnis nicht, da die jetzige gesetzliche Regelung der vorherigen von der Rechtsprechung entwickelten und allgemein akzeptierten Behandlung solcher Fälle nach § 91a ZPO analog entspricht.

 

Rz. 41

Allerdings handelt es sich bei § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO um keine abschließende Regelung, so dass der Kläger die Klage nach § 264 Nr. 3 ZPO auch auf das Interesse umstellen kann, d.h. entweder eine Zahlungs- oder eine Feststellungsklage[47] formuliert, wonach der Beklagte die Kosten des (erledigten) Rechtsstreits zu tragen hat.[48] Einer solchen Klage kann das Rechtsschutzbedürfnis nicht abgesprochen werden,[49] da im Verfahren nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nur eine summarische Prüfung stattfindet, während im geänderten Klageverfahren der Sachverhalt gänzlich zu klären ist.

 

Rz. 42

Nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO führt die Klagerücknahme in diesem Fall nicht mehr automatisch zu einer Kostentragungspflicht des die Klage ganz oder teilweise zurücknehmenden Klägers. Vielmehr ist über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

 

Rz. 43

 

Tipp

Der Rechtsanwalt sollte ausdrücklich auf diese Form der Kostenentscheidung hinweisen und muss ausführen, wie die Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu treffen ist, denn die Beweislast, dass seine Belastung mit den Kosten billigem Ermessen widerspricht, trägt der Kläger.[50] Anderenfalls besteht die Gefahr, dass das Gericht entweder die Regelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO gar nicht anwendet, sondern nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO sofort dem Kläger die Kosten auferlegt, oder aber aus der Tatsache der Klagerücknahme schließt, dass die Klage unbegründet war oder jedenfalls der Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.

 

Rz. 44

 

Hinweis

Die Regelung in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO entspricht der Verfahrensweise bei der Erledigung in der Hauptsache nach Rechtshängigkeit und der Kostentragungsregelung in § 91a ZPO. Insoweit kann auf die dortigen Grundsätze und die zu § 91a ZPO ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden.

 

Rz. 45

Das Gericht hat also nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes, d.h. der Klageschrift, des dem erledigenden Ereignis zugrunde liegenden Sachverhalts und der Darstellungen der Parteien hierzu, über die Kosten zu entscheiden. Hat der Schuldner dem Gläubiger eine Teilzahlung auf die Schuld angekündigt, so ist dieser verpflichtet, den Eingang von Zahlungen zu überprüfen. Unterlässt er dies und erhebt Zahlungsklage, so trägt er die Kosten des Rechtsstreits, wenn die Teilzahlung des Schuldners vor Rechtshängigkeit der Klage eingegangen ist und der Gläubiger die Klage nach sofortigem Anerkenntnis zurückgenommen hat.[51]

 

Rz. 46

 

Hinweis

Beachtet werden muss, dass eine Entscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO die Kostenprivilegierung nach Nr. 1211 Nr. 1 KVGKG entfallen lässt, d.h. zu einer insgesamt höheren Kostenbelastung führt. Ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger einen Teil dieser Kosten tragen muss, kann es kostengünstiger sein, die Klage zurückzunehmen und die Kostenfolge nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO mit den geringeren Gesamtkosten zu tragen. Das konkrete Vorgehen sollte im Einzelfall mit entsprechenden Berechnungen – auch für den schlimmsten Fall – geprüft und in Absprache mit dem Mandanten entschieden werden.

 

Rz. 47

Der Gesetzgeber hat mit dem Justizmodernisierungsgesetz durch den in § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO angefügten Halbsatz klargestellt, dass eine entsprechende Kostenentscheidung nicht mehr voraussetzt, dass die Klage auch zugestellt wurde. Dies erspart den Gerichten den mit der Zustellung verbundenen Aufwand und den Parteien die dadurch veranlassten zusätzlichen Kosten. Allerdings werden hiergegen auch rechtsstaatliche Bedenken erhoben.[52] Angesichts der Entscheidung des BGH,[53] der diese Rechtsfolge schon zuvor e...

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