Rz. 42

Ärztliche Atteste, die letztlich allein auf subjektiven Beschwerdebeschreibungen des Patienten beruhen, genügen nicht zum Nachweis seiner Verletzung.[35] Gerade bei Bagatellunfällen reicht es für den vom Geschädigten zu führenden Vollbeweis nicht aus, Arztberichte vorzulegen, die sich auf nicht objektivierbare, allein auf der Schilderung des Verletzen beruhende Angaben stützen, wenn die übrigen Umstände des Falls und der Unfallablauf (z.B. geringe biomechanische Einwirkung) gegen den Eintritt der körperlichen Verletzung sprechen.[36]

 

Rz. 43

Es besteht keine Vermutung, dass die Diagnosen, die in einem zeitnah zum Unfall erstellten ärztlichen Attest enthalten sind, unfallbedingte Verletzungen beweisen. Ein solches Attest ist nur ein gegebenenfalls vom medizinischen Sachverständigen zu berücksichtigendes Indiz von eher untergeordneter Bedeutung.[37]

 

Rz. 44

Wird eine durch ein Unfallgeschehen ausgelöste psychische Reaktion (hierzu siehe auch § 3 Rn 61 ff.) vom Betroffenen und den ihn behandelnden Ärzten als organische Verletzung gedeutet und behandelt, sind die hierauf vielleicht zurückzuführenden körperlichen Beschwerden dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen.[38]

 

Rz. 45

In der Rechtsprechung[39] hat sich die Auffassung weitestgehend manifestiert, dass eine Verletzung der HWS jedenfalls ein gewisses Maß an biomechanischer Einwirkung voraussetzt und daher bei nur geringer biomechanischer Einwirkung eine HWS-Verletzung ausgeschlossen oder jedenfalls belanglos ist. Ähnliche strenge Anforderungen gelten bei Tinnitus.[40]

[35] BGH v. 3.6.2008 – VI ZR 235/07 – BGHReport 2008, 1034 = DAR 2008, 590 (nur Ls.) = MDR 2008, 1115 = NJW-RR 2008, 1380 = NJW-Spezial 2008, 490, 521 = NZV 2008, 502 = r+s 2008, 395 (Anm. Lemcke) = SP 2008, 323 = SVR 2009, 141 = VersR 2008, 1133 = VRS 115, 106 = zfs 2008, 562 (Da der Arzt, der einen Unfallgeschädigten untersucht und behandelt, diesen nicht aus der Sicht eines Gutachters betrachtet, sondern ihn als Therapeut behandelt, steht für ihn die Notwendigkeit einer Therapie im Mittelpunkt, während die Benennung der Diagnose als solche für ihn zunächst von untergeordneter Bedeutung ist. Deshalb sind zeitnah nach einem Unfall erstellte ärztliche Atteste für den medizinischen Sachverständigen eher von untergeordneter Bedeutung. Eine ausschlaggebende Bedeutung wird solchen Diagnosen im Allgemeinen jedenfalls nicht beizumessen sein. Im Regelfall wird das Ergebnis einer solchen Untersuchung nur als eines unter mehreren Indizien für den Zustand des Geschädigten nach dem Unfall Berücksichtigung finden können.); KG v. 3.12.2009 – 12 U 232/08 – jurisPR-VerkR 9/2010 Anm. 2 (Anm. Lang) = NJW-Spezial 2010, 330 = NZV 2010, 624 = VRS 118, 321; KG v. 9.5.2005 – 12 U 14/04 – DAR 2005, 621 = NZV 2005, 470; OLG Frankfurt v. 22.1.1999 – 24 U 61/97 – NZV 2000, 165 = r+s 2001, 65 = VersR 2000, 609 (BGH hat Revision nicht angenommen, Beschl. v. 9.11.1999 – VI ZR 83/99 –); OLG Hamm v. 2.7.2001 – 13 U 224/00 – SP 2002, 11; OLG Hamm v. 4.6.1998 – 6 U 200/96 – r+s 1998, 326 = VersR 1999, 990; OLG Jena v. 13.1.2009 – 5 U 229/07 – NJW-Spezial 2009, 298 = r+s 2009, 170 = SP 2009, 251, OLG Koblenz v. 12.6.2006 – 12 U 29/06 – SP 2006, 349 (Vorlage eines ärztlichen Attestes, wonach der Kläger eine Handprellung erlitten habe, reicht zum Verletzungsnachweis nicht aus); OLG Karlsruhe v. 24.9.1999 – 10 U 85/99 – DAR 2001, 509 = NZV 2001, 511 = r+s 2002, 112 (BGH hat die Revision nicht angenommen, Beschl. v. 8.5.2001 – VI ZR 314/00 –); OLG Stuttgart v. 19.3.1999 – 2 U 150/98 – SP 1999, 232; LG Hamburg v. 26.4.2010 – 306 S 31/10 – SP 2011, 362; AG Annaberg v. 12.6.2002 – 4 C 281/00 – SP 2005, 377 (Die in den ärztlichen Attesten bescheinigten HWS-Verletzungen werden nicht aus der Sicht des Arztes als Gutachter vorgenommen, sondern resultieren aus der therapeutischen Aufgabe des Arztes, den seitens des Patienten geäußerten Beschwerden nachzugehen und nicht diese gegebenenfalls kritisch in Frage zu stellen); AG Düsseldorf v. 9.7.2001 – 58 C 17116/00 – SP 2002, 14; AG Gummersbach v. 16.8.2001 – 2 C 724/00 – SP 2002, 15; AG Stade v. 18.5.2004 – 61 C 1277/03 – SP 2004, 263. Siehe auch AG Langenfeld v. 12.5.1999 – 31 C 134/98 – SP 1999, 342 (Keine Erstattung der Attestkosten bei fehlerhafter Diagnose). Zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit im Krankenversicherungsrecht siehe BSG v. 8.11.2005 – B 1 KR 18/04 R – Breith 2006, 533 = NZA 2006, 648 = SGb 2006, 38 = SozR 4–2500 § 44 Nr. 7 = USK 2005–39 (Die ärztliche Bescheinigung hat keinen höheren Beweiswert als das MDK-Gutachten. Wenn der MDK zum Ergebnis kommt, dass eine unter Depressionen leidende Frau wieder arbeitsfähig ist, muss der einen Tag später behandelnde Arzt seine gegenteilige, die Arbeitsunfähigkeit bescheinigende Diagnose detailliert begründen.).
[36] LG Darmstadt v. 12.8.2005 – 2 O 94/03 – zfs 2005, 542 m.w.N.

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