Rz. 106

§ 114 FamFG regelt den Anwaltszwang in Familiensachen. Die allgemeine Bestimmung des § 10 Abs. 1 FamFG, nach der die Beteiligten das Verfahren grundsätzlich selbst betreiben können, gilt gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG in Familienstreitsachen nicht. § 114 Abs. 1 FamFG bestimmt, dass sich die Ehegatten in Ehesachen und Scheidungsfolgesachen – das heißt dann, wenn Güterrechtssachen Folgesachen sind – sowie die Beteiligten in selbstständigen Familienstreitsachen – das heißt in sämtlichen selbstständigen Güterrechtssachen des § 261 Abs. 1 FamFG und sämtlichen sonstigen Familiensachen des § 266 Abs. 1 FamFG-vor den Instanzgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen. Dieser Grundsatz wird in den folgenden Abs. 24 des § 114 FamFG für Sonderfälle modifiziert.

In Familiensachen, die nicht von § 114 FamFG erfasst werden, müssen sich die Beteiligten weder vor dem Familiengericht noch vor dem Oberlandesgericht von einem Rechtsanwalt vertreten lassen, § 10 Abs. 1, Abs. 4 FamFG[144] – dies gilt für Güterrechtssachen des § 261 Abs. 2 FamFG (sofern sie nicht ohnehin gemäß § 25 Nr. 3a), b) RPflG auf den Rechtspfleger übertragen worden sind), für sonstige Familiensachen des § 266 Abs. 2 FamFG sowie für sämtliche Gewaltschutzsachen des § 210 FamFG.

 

Rz. 107

Der Anwaltszwang geht also einerseits in Familiensachen weiter als in normalen ZPO-Verfahren, weil er in Abweichung von § 78 Abs. 1 ZPO für Ehe- und Folgesachen sowie für selbstständige Familienstreitsachen unabhängig vom Verfahrenswert schon vor dem Amtsgericht gilt. Auf der anderen Seite bleibt § 114 FamFG hinter den ZPO-Vorschriften zurück, weil für reine FamFG-Verfahren außerhalb des Verbunds sogar in zweiter Instanz vor dem OLG kein Anwaltszwang besteht.

 

Rz. 108

Die Postulationsfähigkeit, also die Fähigkeit, Prozess-bzw. Verfahrenshandlungen vor oder gegenüber dem Gericht selbst wirksam vornehmen zu können, wird durch jeden Anwaltszwang eingeschränkt. Grundsätzlich ist jede prozess- bzw. verfahrensfähige Person auch postulationsfähig, weshalb die mit dem Anwaltsprozess bzw. -verfahren verbundene Einschränkung sachlich begründet sein muss. In dem gesamten von § 114 Abs. 1, Abs. 2 FamFG erfassten Bereich und speziell auch in den hier betroffenen Verfahren ist der Anwaltszwang gerechtfertigt, um eine sachgerechte Beratung insbesondere des schwächeren Ehegatten, so zum Beispiel gerade über die Einreichung von Folgesachen und die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche, sicherzustellen, die häufig emotional aufgeladenen Verfahren zu versachlichen und den Beteiligten die Tragweite ihrer Entscheidungen deutlich vor Augen zu führen.[145]

 

Rz. 109

Der Anwaltszwang erfasst – mit Ausnahme der in § 114 Abs. 3, Abs. 4 FamFG bestimmten Fallgruppen – das gesamte Verfahren der jeweiligen Instanz und hier wiederum sämtliche Verfahrenshandlungen.[146] Die Handlung eines Beteiligten (einer Partei im originären Zivilprozess) ist eine Verfahrens- bzw. Prozesshandlung, wenn sie gestaltend auf ein aktuelles oder künftiges Verfahren einwirkt.[147] Eben hierdurch unterscheidet sie sich von materiellen Willenserklärungen, die die Beteiligten bzw. Parteien gleichzeitig während oder aus Anlass des Verfahrens bzw. Prozesses abgeben können. Da nun Verfahrenshandlungen auch materiellrechtliche Folgen haben können, ist auf die typische Funktion der Handlung abzustellen: Es handelt sich dann um eine Verfahrenshandlung, wenn sie ihre Hauptwirkung im Verfahrensrecht hat.[148] Entscheidend ist die unmittelbare Hauptwirkung der betreffenden Handlung. Es genügt nicht, dass eine Handlung verfahrensrechtliche Nebenwirkungen auslöst, da sonst zum Beispiel auch die Veräußerung der streitbefangenen Sache oder die Abtretung des Verfahrensanspruchs, die Mitteilung des Übergangs der streitigen Forderung, die Errichtung einer vollstreckbaren Urkunde vor Gericht oder Notar usw. Verfahrenshandlungen wären.[149] Unter die Kategorie der Verfahrenshandlungen fallen dementsprechend nicht nur einseitige Handlungen der Beteiligten, sondern auch Verträge die vor oder außerhalb des Verfahrens geschlossen werden, die die verfahrensrechtliche Lage gestalten oder durch die sich die Beteiligten zu einem bestimmten verfahrensrechtlichen Verhalten verpflichten.[150]

 

Rz. 110

So unterliegen auch Verfahrenshandlungen der Zwangsvollstreckung in Familiensachen, wenn das Amtsgericht-Familiengericht- als Verfahrensgericht des ersten Rechtszugs zuständig ist dem Anwaltszwang, wenn dieser auch für das erstinstanzliche Verfahren bestand, also in den Verfahren entsprechend §§ 731, 767, 768, 769 Abs. 1, 887 Abs. 1, 888 Abs. 1, 890 ZPO aber auch in denjenigen entsprechend 732 ZPO (zu diesen Verfahren als Familiensachen siehe oben B. II.5. ff.). Demgegenüber besteht bei Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht im Sinne des § 764 Abs. 1 ZPO auch dann wegen § 78 Abs. 1 ZPO bzw. §§ 78 Abs. 3, 569 Abs. 3 ZPO kein Anwaltszwang, wenn der Richter entscheidet, so insbesondere in den Verfahren entsprechend § 766 ZPO gemäß § 20 Nr. 17 S. 2 ...

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