Rz. 71

Aber auch bei heftigen Kollisionen ist eine Nachbesichtigung der Unfallstelle und der Fahrzeuge sinnvoll. Bei einer Gegenverkehrskollision mit hoher Relativgeschwindigkeit entstehen in den überwiegenden Fällen sogenannte Schlagmarken. Diese werden dadurch hervorgerufen, dass Teile des Unterbodens infolge der hohen Kollisionskräfte auf die Fahrbahn gepresst werden. Lassen sich die betreffenden Bauteile bestimmen, kann der Kollisionsort genau rekonstruiert und die bei einer solchen Kollision wichtigste Frage, wer seine Fahrspur verlassen hatte, geklärt werden.

Abb. 12.7 bis 12.9: Schlagspuren

 

Rz. 72

Bei Kollisionen mit geringer Überdeckung bewegen sich die Fahrzeuge aneinander vorbei, wenn es zu einem Abgleiten kommt. Dabei lässt sich öfter beobachten, dass mehrere Schlagspuren an völlig unterschiedlichen Stellen auf der Fahrbahn entstehen können. Die Bestimmung des Kollisionsortes wird dadurch erschwert.

Abb. 12.10 bis 12.12: Bestimmung des Kollisionsortes

© Abb. 12.10 (links) und Abb. 12.11 (rechts oben) Bild aus der Ermittlungsakte

© Abb. 12.12 (rechts unten) Aufnahme einer Partei

 

Rz. 73

Auch wenn heutzutage hoch auflösende Luftbilder von den Unfallstellen vorliegen, kann auf Ortsbesichtigungen nicht in jedem Fall verzichtet werden. Dies ist insbesondere dann gegeben, wenn an der Unfallstelle Gefällestrecken vorhanden sind. Die Neigung der Fahrbahn hat Auswirkungen auf die möglichen Bremsverzögerungen. Sie wirkt sich somit auf die Bestimmung der Geschwindigkeit aus. Aus den Neigungen ergeben sich möglicherweise auch Sichtproblematiken, die nur vor Ort geklärt werden können.

 

Rz. 74

Bei der Bestimmung der Sichtmöglichkeiten vor Ort ist darauf zu achten, dass die für die Unfallbeteiligten korrekte Sichthöhe berücksichtigt wird. Ein Lkw-Fahrer sitzt mit seinen Augen weit oberhalb der Fahrbahn. Dies ist bei der Erstellung der Fotodokumentation zu beachten, weil ansonsten die Aussagekraft nicht gegeben ist.

Abb. 12.13: Sicht aus Traktor (4m K 190m)

Abb. 12.14: Sicht aus Pkw

 

Rz. 75

Für die Beurteilung eines Unfallgeschehens ist es grundsätzlich wichtig, zunächst den Unfallablauf so genau wie möglich zu rekonstruieren. Erst damit lässt sich beurteilen, inwieweit ein Fehlverhalten vorlag. Ein solches Fehlverhalten wäre z.B. bei einer überhöhten Annäherungsgeschwindigkeit oder verspäteten Reaktion gegeben. Es können dann Alternativen diskutiert werden, die sich unfallvermeidend ausgewirkt hätten.

 

Rz. 76

Durch den Fortschritt in der Fahrzeugtechnik ergeben sich für die konventionelle Unfallrekonstruktion weniger Anknüpfungspunkte. Durch den Einsatz von ABS kommt es infolge von Vollbremsungen in den wenigsten Fällen zu Spurzeichnungen. Die Annäherungsgeschwindigkeit ist dadurch nicht in dem Maße eindeutig nachweisbar.

 

Rz. 77

In der Praxis finden sich Beispiele dafür, dass bei der Entscheidung von Verfahren die Möglichkeit einer Geschwindigkeitsreduzierung vor der Kollision völlig außer Acht gelassen wird, obwohl sich aus den Gesamtumständen Anhaltspunkte für eine frühzeitigere Gefahrenerkennung ergeben. Die Problematik besteht nämlich darin, den Zeitpunkt festzulegen, bei dem eine eindeutige Gefahrensituation für den die Vollbremsung durchführenden Unfallbeteiligten vorlag.

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