Rz. 29

Im Verkehrsunfallprozess steht dem Sachverständigen im Ausgangspunkt zunächst die Gerichtsakte sowie ggf. die beigezogene amtliche Ermittlungsakte nebst der darin enthaltenen Einlassungen der Parteien und Zeugen, sofern zuvor bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, zur Verfügung. Weitere wichtige Anknüpfungstatsachen liefern bei einem Unfallgeschehen stets die Schadensgutachten zu den Schäden an den beteiligten Fahrzeugen sowie eventuell an der Unfallstelle angefertigte Lichtbilder, welche idealerweise noch die Unfallendstellung der Fahrzeuge zeigen.

 

Rz. 30

Aus diesem Grund wird der Sachverständige stets versuchen, die Original-Lichtbilddateien anstelle der in der Gerichtsakte befindlichen Ausdrucke zu erhalten. Zu diesem Zweck kann entweder eine Anfrage an die Parteien zur Überlassung dieser Dateien über das Gericht oder durch eine direkte Anfrage bei den Prozessbevollmächtigten der Parteien erfolgen.

In der Praxis ist es so, dass die Parteien in der Regel nicht über diese Originale verfügen. Sie sind bei den Schadengutachtern archiviert und werden direkt dort angefordert. Der Aufwand für das Heraussuchen, das Übertragen auf einen Datenträger und den Versand wird von dort üblicherweise in Rechnung gestellt und vom Gerichtsgutachter als Fremdrechnung in die eigene Abrechnung übernommen.

Wichtig ist, dass die Dateien in unkomprimierter Form zur Verfügung gestellt werden. Für die Qualität ist die Anzahl der Bildpunkte (Pixel) entscheidend. In den folgenden Abbildungen ist dies verdeutlicht. Beide Fotos erscheinen in den Totalen vollkommen identisch. Bei der Vergrößerung eines Bildausschnittes werden die Unterschiede aber deutlich, wenn die Pixel direkt angezeigt werden.

Stehen die unbearbeiteten Bilddateien zur Verfügung, lassen sich aus den abgespeicherten Metadaten im Exchangeable Image File Format (EXIF) zusätzliche Informationen wie Aufnahmedatum und -zeit, Brennweite, Blende, Belichtungsdauer und andere technische Parameter, ggf. auch geographische Koordinaten des Aufnahmeorts, gewinnen.

 

Rz. 31

Es mag selbstverständlich erscheinen, dass dem Gutachter vor Auftragserteilung ausreichende Informationen zu den Unfallfahrzeugen vorliegen. Es ist aber nicht selten, dass aus der Akte nur die amtlichen Kennzeichen hervorgehen. Da Fahrzeugparameter bei der Analyse essenziell sind, sollten diese von den Prozessparteien bereits vorab mitgeteilt werden. In Schadengutachten werden sie ausreichend zusammengefasst. Aus Kostenvoranschlägen oder Reparaturrechnungen gehen sie nur unvollständig hervor. Sinnvoll ist es deshalb, eine Kopie des Fahrzeugscheins beizufügen.

War am Unfall ein Lkw oder Bus beteiligt, ergeben sich weitere Anknüpfungspunkte aus den Aufzeichnungen von Tachografen (auch Fahrtenschreiber oder EG-Kontrollgeräte genannt). Dabei handelt es sich um ein Tachometer mit angeschlossenem Messschreiber, der Lenk- und Ruhezeiten, Lenkunterbrechungen und – für die Unfallrekonstruktion besonders interessant – gefahrene Wegstrecken und Geschwindigkeiten aufzeichnet. Solche Geräte sind – von Ausnahmen abgesehen – in allen innerhalb der Europäischen Union und weiterer AETR-Staaten[10] gewerblich genutzten Lkw und Omnibussen ab 3,5t Gesamtgewicht bzw. 9 Fahrgastplätzen vorgeschrieben. Die Aufzeichnungen (digital oder auf Tachoscheiben) müssen vom Unternehmer mindestens 1 Jahr lang archiviert werden.

Umfangreiche Informationen können spezielle Unfalldatenspeicher (auch als "Black Box" bezeichnet) liefern. Es handelt sich dabei um Kontrollgeräte, die in der Regel wenige Sekunden vor und nach einem Unfall neben Geschwindigkeiten weitere Fahrdaten wie Längs- und Querbeschleunigungen und auch Aufzeichnungen zu Signaleinrichtungen (Blinker, Sondersignale) festhalten.

 

Rz. 32

 

Praxistipp

Ist bei einem Verkehrsunfallgeschehen davon auszugehen, dass ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten oder auch nur ein solches betreffend der streitigen Schadenshöhe eingeholt wird, so ist es ratsam, bereits frühzeitig die entsprechenden Lichtbilddateien zu einem ggf. vorhandenen Schadensgutachten einzuholen, damit diese auf entsprechende Anfrage des Sachverständigen hin diesem umgehend zur Verfügung gestellt werden können.

 

Rz. 33

Muster 12.4: Antrag auf Anordnung nach § 144 ZPO

 

Muster 12.4: Antrag auf Anordnung nach § 144 ZPO

Beantragen wir,

dem Sachverständigen _________________________ gem. § 144 ZPO aufzuerlegen, die Lichtbilder zum Gutachten Nr. _________________________ vom _________________________ in digitaler Form vorzulegen, damit diese dem gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Verfügung gestellt werden können.

Begründung

Erfahrungsgemäß benötigen die gerichtlich bestellten Sachverständigen die im Anschluss an ein Unfallgeschehen im Rahmen der Schadensermittlung erstellten Lichtbilder in digitaler Form, um diese hinreichend auswerten zu können. Nach § 144 Abs. 1 ZPO besteht für das Gericht die Möglichkeit, im Rahmen der Begutachtung durch einen Sachverständigen anzuordnen, dass auch ein Dritter, der nicht am Rech...

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