Rz. 1

Risiken aus oder im Zusammenhang mit der Herstellung von Produkten sind allgegenwärtig. Wer erinnert sich nicht an das berühmte Strafverfahren vor dem Landgericht Aachen in Sachen "Contergan".[1] In einem nahezu elf Jahre dauernden Verfahren wurde schließlich – nach Anhörung zahlreicher Sachverständiger – ein Kausalzusammenhang zwischen längerer Thalidomid-Einnahme und Nervenschäden bei Erwachsenen, aber auch bei Kindern festgestellt und ferner begutachtet, dass dieses Medikament – bekannter unter der Bezeichnung "Contergan" – generell geeignet sei, körperliche Missbildungen zu verursachen. Dieser in den 70er Jahren ergangene Beschluss nahm generell zu der Frage Stellung, wie sich ein ordentlicher und gewissenhafter (Arzneimittel-)Hersteller zu verhalten hat, wenn bei ihm Meldungen eingehen, in denen ein von ihm vertriebenes Präparat verdächtigt wird, schädliche Nebenwirkungen zu verursachen.

 

Rz. 2

Aber nicht nur dieses Strafverfahren, auch andere inzwischen bekannte Zivilverfahren haben die Herstellerpflichten und die Herstellerhaftung nach und nach verschärft. So ist zunächst auf das sog. Schubstreben-Urteil[2] zu verweisen, in dem sich der BGH mit der Haftung eines Zuliefererunternehmens für die Folgen eines Kraftwagenunfalls, der durch Bruch einer dem Kraftwagenhersteller gelieferten und von ihm eingebauten schadhaften Schubstrebe entstanden war, zu befassen hatte. Zu verweisen ist auch auf die berühmte "Kleber-Entscheidung" vom 29.5.1968.[3] Der Verkäufer hatte eine bestimmte Klebefähigkeit des Klebemittels "M-Kontakt" für den damals vorgesehenen Zweck der Aufhängung von Deckenplatten zugesichert. Der Klebstoff war aber – wie sich später herausstellte – zur Befestigung der Platten ungeeignet. Die mit dem Klebemittel befestigten Deckenplatten hatten sich nach und nach gelöst und waren heruntergefallen, und es ging um die Frage, ob der Verkäufer vollumfänglich auf Ersatz des Mangelfolgeschadens haftet, wenn die bei Vertragsschluss zugesicherten Eigenschaften tatsächlich nach Gefahrübergang und Ablieferung des Klebstoffes fehlten. Dies hat der Bundesgerichtshof seinerzeit bejaht.

 

Rz. 3

Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang ferner auf eine wichtige Entscheidung zur "Umkehr der Beweislast" im produkthaftungsrechtlichen Bereich, nämlich auf die ebenfalls berühmte "Hühnerpest"-Entscheidung des BGH vom 26.11.1968.[4] Die Betreiberin einer Hühnerfarm ließ am 19.11.1963 ihre Hühner durch den Tierarzt gegen Hühnerpest impfen. Einige Tage danach brach jedoch die Hühnerpest aus. Mehr als 4.000 Hühner verendeten. Über 100 weitere Hühner mussten notgeschlachtet werden. Die klagende Hühnerfarmbetreiberin nahm die Beklagte, den Impfstoff-Werkhersteller, auf Ersatz ihrer Schäden in Anspruch. Der BGH führte dazu aus: Wird bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Industrieerzeugnisses eine Person oder eine Sache dadurch geschädigt, dass das Produkt fehlerhaft hergestellt war, muss der Hersteller beweisen, dass ihn hinsichtlich des Fehlers kein Verschulden trifft. Erbringt der Hersteller diesen Beweis nicht oder kann er ihn nicht erbringen, haftet er nach Deliktsgrundsätzen – gemeint ist damit die Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB, aber auch nach § 1 ProdHaftG.[5]

 

Rz. 4

Diese zitierten und in den 70er Jahren ergangenen Entscheidungen waren Auftakt zur "eigentlichen Produkthaftung in Deutschland".[6] Nahezu keine Branche bleibt von in der Öffentlichkeit bekannt werdenden Verfahren verschont. Zu denken ist besonders an die chemisch-pharmazeutische Industrie und auch an die Nahrungs- und Getränkemittelhersteller. Jedermann bekannt sind die zahlreichen Rückrufszenarien, insbesondere aus der Automobil- und Elektronikindustrie.[7] Zu verweisen ist aber auch auf die allseits bekannten Tabak- und Genussmittelverfahren.[8] In jüngerer Zeit erfahren die Verbraucher von entsprechenden Problemen bei Medizinprodukten.[9] Verwiesen sei etwa auf den aktuellen und in der Öffentlichkeit viel diskutierten Fall der Poly Implant Prothèse S.A. (PIP) als Hersteller von Brustimplantaten – ein Unternehmen, das 1991 gegründet wurde und Brustimplantate herstellte.[10] Nach bisher vorliegenden Publikationen ließen sich weltweit etwa 300.000 bis 500.000 Frauen Silikonimplantate von PIP ­einsetzen, die PIP angeblich in mehr als 65 Länder geliefert hatte.[11] In der Presse waren vor ­allem Vorwürfe dahingehend zu lesen, die Kissen mit "billigem", für den Zweck als Brustimplantat nicht "zugelassenem" Industriesilikon gefüllt zu haben ("minderwertige Füllung").[12] Erste Klagen waren in diesem Zusammenhang in Deutschland und vor allem auch in Frankreich anhängig.[13]

Daneben tritt mehr und mehr der Gedanke des sog. Verbraucherschutzes.[14] Sowohl Gesetzgeber als auch Rechtsprechung tendieren dazu, die Verbraucher und damit die privaten Verwender industrieller Produkte stärker zu schützen, was im Ergebnis ebenfalls zu einer Haftungsverschärfung zu Lasten der Unternehmer führt. Entgegen Bekundungen zur Deregulierung haben das europäische Parlament und der R...

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