Rz. 217

Stellt der Versicherer fest, dass das von ihm zu zahlende Krankentagegeld das auf den Kalendertag umgerechnete, aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Nettoeinkommen übersteigt, wird er in der Regel von dem nach § 4 Abs. 4 MB/KT eingeräumten Recht auf Herabsetzung des Krankentagegeldes Gebrauch machen. Dieses Recht steht ihm unabhängig vom Eintritt des Versicherungsfalls zu. Das Herabsetzungsbegehren wird zu Beginn des zweiten Monats nach Kenntnis wirksam.

Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 23.12.14 – 9a U 15/14, r+s 2015, 78) hat die Klausel nach § 4 Abs. 4 MB/KT für unwirksam erklärt, da

bei Vertragsschluss kein bestimmtes Nettoeinkommen zugrunde gelegt wurde,
die Klausel den Versicherungsnehmer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB,
die Klausel gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstößt.

Zudem hat das OLG Karlsruhe einer ergänzenden Vertragsauslegung eine Absage erteilt. Die Entscheidung lag zur Revision dem BGH vor, der die Auffassung des OLG, wenn auch teilweise mit anderer Begründung, bestätigte (BGH, Urt. v. 6.7.2016 – IV ZR 44/15).

a) Unangemessene Benachteiligung

 

Rz. 218

Das OLG Karlsruhe (Urt. v. 23.12.14 – 9a U 15/14, r+s 2015, 78) begründete die unangemessene Benachteiligung zum einen mit dem unklaren Zeitpunkt, zu dem das Herabsetzungsbegehren spätestens geltend gemacht werden muss, zum anderen mit der durch die Klausel geschaffenen Asymmetrie, die eine Heraufsetzung des Krankentagegeldes – auch nach Herabsetzung – nicht ohne erneute Gesundheitsprüfung vorsieht.

Mit dem Argument des fehlenden Zeitpunkts greift das OLG Karlsruhe (unbewusst) auch die hier vertretene Kritik an einem schleichenden Rückgang des Einkommens infolge sich entwickelnder Arbeitsunfähigkeit auf, wenn es um die Ermittlung des durchschnittlichen Nettoeinkommens der letzten 12 Monate vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit nach § 4 Abs. 2 S. 2 MB/KT geht. Denn welcher Grad der Arbeitsunfähigkeit vorliegen muss, um das durchschnittliche Nettoeinkommen zu errechnen, sagt die Klausel nicht.

 

Rz. 219

Beide Argumente teilte der BGH nicht. Aus der fehlenden Nennung des Zeitpunktes, zu dem die Herabsetzung spätestens geltend gemacht werden muss, ergibt sich keine unangemessene Benachteiligung. Dass die Regelung dem Versicherer auch nach Eintritt des Versicherungsfalls die Herabsetzung erlaubt, wird durch die Herabsetzung der Prämie ausgeglichen. Ausdrücklich spricht der BGH an, dass eine infolge Arbeitsunfähigkeit eingetretene Einkommensminderung nicht zur Herabsetzung berechtigt. Dies ergebe sich gerade aus dem Leistungsversprechen des Versicherers und dem Regelungszusammenhang mit § 4 Abs. 2 S. 2 MB/KT 2009. Danach ist der späteste Zeitpunkt für die Berechnung des maßgeblichen Einkommens der Beginn der Arbeitsunfähigkeit.

 

Rz. 220

Diese Begründung ist nicht kritikresistent. Offensichtlich versteht der BGH den Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" im Zusammenhang mit § 4 Abs. 2 S. 2 MB/KT 2009 nicht in der Schärfe des § 1 Abs. 3 MB/KT 2009, d.h. "in keiner Weise arbeitsfähig". Das Leistungsversprechen wird der Versicherer nur erfüllen, wenn der Versicherungsnehmer zu 100 % arbeitsunfähig ist. Fällt der Versicherungsnehmer aber wegen sich entwickelnder Krankheit schleichend aus, wird sich – gerade bei Selbstständigen – auch das Einkommen schleichend verringern. Dieser Prozess soll aber nach dem Auslegungsverständnis des BGH für die Herabsetzung unberücksichtigt bleiben. Welcher Versicherungsnehmer misst aber dem Begriff Arbeitsunfähigkeit in einem Bedingungswerk unterschiedliche Bedeutungen bei?

Auch eine Asymmetrie zwischen Herabsetzungsbegehren und Heraufsetzungsbegehren konnte und/oder wollte der BGH nicht erkennen, da Letzteres nach den Tarifbestimmungen eine erneute Risikoprüfung – entgegen der Aussage des OLG – nicht verlangt. Eine Heraufsetzung des Krankentagegeldes war ohne Risikoprüfung nur alle drei Jahre möglich, wenn sie sich an der Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung (2009–2015 durchschnittlich 1,92 % p.a.) orientiert. Darüber hinaus war sie nur bei konkretem Nachweis eines höheren Einkommens möglich. Zudem musste der Versicherungsnehmer von der Heraufsetzungsmöglichkeit, die ihm alle drei Jahre angeboten wurde, auch Gebrauch machen. Verzichtet er auf zwei aufeinanderfolgende Leistungsanpassungen, ohne dass ein Grund des § 4 Abs. 2 MB/KT vorlag, konnte eine erneute Teilnahme nur nach Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses zum Gesundheitszustand zugelassen werden. Dies genügte dem BGH in der Gesamtbetrachtung, eine unangemessene Benachteiligung nicht zu sehen.

 

Hinweis

Enthalten die Bedingungen keine Heraufsetzungsmöglichkeit ohne erneute Risikoprüfung, kommt wohl auch der BGH zu dem Ergebnis der unangemessenen Benachteiligung.

b) Verstoß gegen das Transparenzgebot

 

Rz. 221

Sowohl das OLG Karlsruhe (Urt. v. 23.12.14 – 9a U 15/14, r+s 2015, 78) als auch der BGH (Urt. v. 6.7.2016 – IV ZR 44/15) kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass § 4 Abs. 4 MB/KT 2009 intransparent i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ist.

Die...

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