Rz. 103

Gelangt das Jugendamt auf der Grundlage seiner Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Eingliederungshilfe vorliegen, so bedarf es zunächst der weitergehenden Prüfung, welche geeigneten und notwendigen Therapiemaßnahme in Betracht kommen, um einerseits eine bereits bestehende Behinderung zu mindern, zu beseitigen bzw. deren Entstehung zu vermeiden und andererseits eine gesellschaftliche Eingliederung zu gewährleisten. Hierbei ist das Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten im Rahmen des § 5 Abs. 2 S. 2 SGB VIII zu berücksichtigen. Die abschließende Beurteilung des Jugendamts unterliegt aber nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle.[294]

 

Rz. 104

Orientiert am Einzelfall können gem. § 35a Abs. 2 SGB VIII Hilfeleistungen in ambulanter Form, in Tageseinrichtungen, durch Pflegepersonen, stationären Einrichtungen oder sonstigen Wohnformen jeweils als Einzelmaßnahmen oder in kombinierter Form in Betracht kommen. Ambulante Leistungen richten sich vorrangig auf beratende und therapeutische Maßnahmen, die in psychologischen oder ärztlichen Praxen oder durch Leistungen des Jugendamts vor Ort[295] erbracht werden. Von den teilstationären Einrichtungen werden im Wesentlichen Kindertageseinrichtungen bzw. Pflegepersonen umfasst, die über die notwendige fachliche Qualifizierung verfügen.[296] Als stationäre Maßnahme im Sinn des § 35a Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII wird jedoch ein Krankenhausaufenthalt nach Suizidversuch nicht umfasst.[297] Befindet sich eine Jugendliche in einer stationären Maßnahme und bringt sie in dieser Zeit ein Kind zur Welt, so ist gem. § 35a Abs. 1 S. 3 SGB VIII die Hilfe auf das Kind zu erweitern.

 

Rz. 105

Hinsichtlich der weiteren Hilfsmaßnahmen verweist das Gesetz auf die §§ 53 ff. SGB X, wobei insbesondere § 54 Abs. 1 SGB X für die Schul- und Berufsausbildung der Kinder und Jugendlichen Bedeutung besitzt. Im Zusammenhang mit der Eingliederungshilfe können danach Leistungen gewährt werden, die die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht ermöglichen, etwa durch Internatsunterbringung oder die Zuordnung eines Integrationshelfers.[298] Mit Blick auf eine berufliche Tätigkeit kann die Ausbildung in einer hierzu qualifizierten Beschäftigungsstätte in Erwägung gezogen werden.

 

Rz. 106

Soweit im Rahmen der Eingliederungshilfe gleichzeitig auch erzieherische Leistungen im Sinn des § 27 Abs. 1 SGB VIII zu erbringen sind, sieht das Gesetz integrative und ganzheitliche Hilfen vor. Es sollen Einrichtungen gewählt werden, die sowohl den behinderungsbedingten und erzieherischen Bedarf abdecken, als auch eine gemeinsame Betreuung mit nichtbehinderten Kindern gewährleisten können,[299] soweit es der Hilfebedarf des behinderten Kindes zulässt. Hinsichtlich der erzieherischen Aspekte sollen zudem die Eltern in die Maßnahmen einbezogen werden, so dass auch von ihnen eine unterstützende Funktion wahrgenommen werden kann.[300] Durch die damit vorgesehene Inklusion sollen die Vorgaben der 2009 von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtekonvention umgesetzt werden.[301] Dabei hat eine von Bund und Länder eingesetzte Arbeitsgruppe in diesem Zusammenhang auch den Vorschlag erarbeitet, die bisherige Trennung von erzieherischem Bedarf und behinderungsbedingtem Bedarf aufzugeben und statt dessen einen neuen Leistungstatbestand zu schaffen, der beide Hilfetypen zusammenführt.[302]

[294] BVerwG JAmt 2013, 98; OVG Koblenz ZfJ 2001, 23.
[295] OVG Nordrhein-Westfalen JAmt 2003, 89.
[296] OVG Thüringen FamRZ 2002, 1725; Müller/Bange, JAmt 2010, 351; Schoyerer, Fachberatung Kindertagesbetreuung – Ein Professionalisierungsprojekt der Sozialen Arbeit?, ZKJ 2016, 93.
[297] VG Aachen, Urt. v. 25.5.2004 – 2 K 2838/00, juris.
[298] Zur Kasuistik und der hierzu bestehenden Rechtsprechung vgl. die Übersicht bei Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII; § 35a Rn 66.
[299] Müller/Bange, JAmt 2010, 351.
[300] BVerwG JAmt 2005, 524.
[301] Pressemitteilung des Bundesjugendkuratoriums v. 6.12.2012, vgl. www.bundesjugendkuratorium.de/pdf/2010–2013/Stellungnahme_Inklusion_61212.pdf.
[302] BT-Drucks 16/12860; vgl. ergänzend hierzu Wabnitz, ZKJ 2013, 52.

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