Rz. 58

§ 27 SGB VIII sieht eine Hilfe zur Erziehung[190] vor, wobei die Anzahl der in Anspruch genommenen erzieherischen Hilfen kontinuierlich steigend ist. Im Jahr 2013 wurde für rund 520.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland eine erzieherische Hilfe begonnen. Dies bedeutete gegenüber dem Vorjahr eine Steigerung von 0,6 Prozent.[191] Begründet wird durch diese Form der Hilfe ein individueller und zwingender Rechtsanspruch[192] des Personensorgeberechtigten auf erzieherische Hilfen,[193] die sowohl von einem Träger der öffentlichen Jugendhilfe als auch einem Träger der freien Jugendhilfe erbracht werden können.[194] Gegen den erklärten Willen eines Personensorgeberechtigten sind jugendhilferechtliche Maßnahmen nur im Rahmen der Voraussetzungen der §§ 8a, 42 SGB VIII möglich.[195] Personensorgeberechtigt in diesem Sinne ist nach § 7 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII, wem nach den Vorgaben des BGB allein oder gemeinsam mit einer anderen Person die Personensorge zusteht. Soweit danach primär die leiblichen Eltern eines Kindes begünstigt sind, bedarf es auch einer einheitlichen Entscheidung ihrerseits, ob eine Hilfe in Anspruch genommen wird, da die Annahme der Leistung zur Disposition der Berechtigten steht.[196] Eine mangelnde Konsensbildung steht der rechtmäßigen Gewährung einer Hilfe zur Erziehung entgegen. Diese Problematik verschärft sich insbesondere bei getrennt lebenden Eltern und der Beurteilung, ob Leistungen nach §§ 27, 28 SGB VIII als Alltagsangelegenheit gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB bewertet werden können.[197] Davon dürfte wohl nur bei niederschwelligen Hilfsangeboten, die keine intensiven Eingriffe in die Sphäre des Kindes intendieren, auszugehen sein. Für darüber hinausgehende Maßnahmen bedarf es der Zustimmung beider Elternteile. Wird diese Zustimmung von einem Elternteil versagt und folgt hieraus möglicherweise eine Gefahr für das Kindeswohl, so ist das Jugendamt gem. § 8a Abs. 2 S. 1 SGB VIII zur Einholung einer familiengerichtlichen Entscheidung gehalten,[198] soweit nicht durch den der Hilfemaßnahme zustimmenden Elternteil ohnehin eine gerichtliche Entscheidung nach § 1628 BGB herbeigeführt wird.

 

Rz. 59

Anders als der Vormund eines Kindes, dem die gesamte elterliche Sorge übertragen wurde, kann eine Pflegeperson im Fall der außerfamiliären Unterbringung des Kindes keinen Leistungsanspruch geltend machen.[199] Im Fall der Pflegerbestellung muss danach differenziert werden, welche Teilbereiche der elterlichen Sorge übertragen wurden, d.h. ob hiervon auch das Recht zur Geltendmachung von Leistungen der Hilfe zur Erziehung und der Mitwirkung am Hilfeplanprozess umfasst sind.[200] Unabhängig allerdings auch davon, ob Pfleger oder Vormund des Kindes dessen erzieherischen Bedarf decken können, führt dies nicht dazu, dass der Anspruch nach § 27 SGB VIII entfällt, da unverändert entscheidend ist, ob der originär Pflichtige, d.h. die Eltern, die gebotene Erziehung gewährleisten könnte.[201]

 

Rz. 60

Umstritten ist die Frage, ob das minderjährige Kind selbst Leistungen nach § 27 SGB VIII geltend machen kann, wenn hierzu seitens der Personensorgeberechtigten eine abweichende Haltung vertreten wird und noch nicht die Eingriffsschwelle des § 1666 BGB erreicht ist. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG[202] wird u.a. die Auffassung vertreten, dass in diesem Fall dem Kind ein Verfahrensbeistand zu bestellen sein soll, dieser jedoch bei fortdauernder Verweigerung der Eltern ebenfalls nicht die Leistungsgewährung erreichen könne. Es stellt sich dann allerdings die Frage, ob eine solche unbeirrbare Verweigerungshaltung der Eltern – bei einem tatsächlich bereits bestehenden Erziehungsbedarf – nicht eine eintretende Schädigung des Kindeswohls mit Sicherheit voraussehen lässt und damit das Jugendamt berechtigt ist, gem. § 8a Abs. 2 SGB VIII eine familiengerichtliche Entscheidung einzuholen.[203] Wird auf Veranlassung des Jugendamts ein gerichtliches Verfahren eingeleitet, so ist dem Kind entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben[204] frühzeitig ein Verfahrensbeistand zu bestellen, der dann bereits auch schon im Rahmen der Hilfeplanung auf den weiteren Verfahrensablauf Einfluss nehmen kann.[205]

 

Rz. 61

Zur Geltendmachung der Hilfe zur Erziehung bedarf es nach h.M. keines förmlichen Antrags.[206] Es genügt, dass der Berechtigte positiv zum Ausdruck bringt, dass er mit der Inanspruchnahme der Leistung einverstanden ist.[207] Erfolgt die Hilfe zur Erziehung gegen den Willen der Personensorgeberechtigten, so rechtfertigt die dann rechtswidrige Maßnahme keine Kostenbelastung der Eltern.[208] Gleichwohl ist allerdings das Jugendamt – im Rahmen einer strafrechtlichen Garantenstellung[209] – verpflichtet, Hilfeleistungen anzubieten und nicht erst eine Antragstellung abzuwarten.[210]

[190] Wabnitz, ZKJ 2013, 108 ff. (Teil 1), 157 ff. (Teil 2), 199 ff. (Teil 3), 281 (Teil 4), 336 (Teil 5) zum 14. Kinder- und Jugendbericht; Binder/Bürger, Die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung durch Kinder psychisc...

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