Rz. 156

Während die Beistandschaft ausschließlich durch das Jugendamt wahrgenommen wird, sieht § 53 Abs. 1 SGB VIII für die Vormundschaft und Pflegschaft eine Obliegenheit des Jugendamtes vor,[528] dem Familiengericht geeignete Personen oder Vereine vorzuschlagen, die sich im Einzelfall als Pfleger oder Vormund eignen,[529] ohne dass allerdings das Familiengericht verpflichtet wäre, diesem Vorschlag zu folgen.[530] Verwandte des Minderjährigen sind – ebenso wie etwa Pflegeeltern[531] – grundsätzlich vorrangig zu berücksichtigen und dürfen nur dann umgangen werden, wenn sie erkennbar ungeeignet sind (siehe dazu § 1 Rdn219 ff.).[532] Damit ein rechtsfähiger Verein Pflegschaften oder Vormundschaften übernehmen kann, bedarf er nach § 54 Abs. 1 SGB VIII der Erlaubnis durch das nach § 87d Abs. 2 SGB VIII zuständige Landesjugendamt, wobei die Erlaubniserteilung an die Erfüllung der in § 54 Abs. 2 SGB VIII genannten Voraussetzungen geknüpft ist, wie etwa die ausreichende Beaufsichtigung und Weiterbildung der mit der Aufgabe zu betrauenden Mitglieder. Abweichend von diesem erklärten gesetzgeberischen Ziel zum Vorrang der Einzelvormundschaft oder -pflegschaft[533] wird in der Praxis tatsächlich jedoch im Regelfall das Jugendamt als Amtsvertreter tätig. § 56 Abs. 4 SGB VIII sieht hierzu vor, dass das Jugendamt eine jährliche Prüfung vornehmen muss, ob die Ersetzung der Amtsvertretung durch eine Einzelperson oder einen Verein im Interesse des Kindes angezeigt ist. Jedoch besteht keine Subsidiarität der Amtsvormundschaft gegenüber der Vereinsvormundschaft[534] und auch kein Vorrang der Berufsvormundschaft gegenüber der Amtsvormundschaft, so dass insbesondere die Jugendämter nicht mit dem Einwand gehört werden können, sie verfügten nicht über das – etwa im Zusammenhang mit dem Zustrom unbegleiteter ausländischer Minderjähriger[535] – zur Aufgabenerfüllung notwendige Personal.[536] Zielsetzung der Vormundschaft ist es, dem Mündel eine signifikante, positive und kontinuierliche Bezugsperson zu geben, die als kundiger und zuverlässig erreichbarer Interessenvertreter agiert.[537]

Durch das VormBtÄndG aus dem Jahr 2012 (vgl. Rdn 160) hat der Gesetzgeber einen ersten Schritt zur Reform des Vormundschaftsrechts unternommen.[538] Für die vorgesehene weitere Aktualisierung sind als wesentliche Eckpunkte genannt:[539]

die Stärkung der Personensorge des Vormunds,[540]
eine Stärkung der personellen Ressourcen in der Vormundschaft,
die Qualitätsverbesserung der Amtsvormundschaft,
die Modernisierung der Vermögenssorge des Vormunds und
die Vereinfachung der gesetzlichen Vorgaben des Vormundschafts-, Betreuungs- und Pflegschaftsrechts.
 

Rz. 157

Allein in den im BGB geregelten Schutztatbeständen wird das Jugendamt zwingend als Amtsvormund oder -pfleger tätig (§ 55 Abs. 1 SGB VIII), etwa, wenn für das Kind im Moment seiner Geburt oder zu einem späteren Zeitpunkt ein Vertretungsbedürfnis besteht (z.B. §§ 1673, 1791, 1791c BGB) bzw. nachdem die Eltern in die Adoption ihres Kindes eingewilligt haben (§ 1751 BGB). Insoweit hat das Jugendamt das Familiengericht unverzüglich zu informieren (§ 57 SGB VIII). Örtlich zuständig ist dabei im Anwendungsbereich des § 1791c BGB[541] das Jugendamt, in dessen Bezirk die Kindesmutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (§ 87c Abs. 1 SGB VIII) bzw. ist im Fall des § 1751 BGB der gewöhnliche Aufenthalt des Annehmenden entscheidend (§ 87c Abs. 4 SGB VIII).[542]

 

Rz. 158

Demgegenüber tritt die Amtsvormundschaft oder -pflegschaft durch gerichtliche Bestellung ein, wenn der gesetzliche Vertreter ausfällt und eine als ehrenamtlicher Einzelvormund geeignete Person nicht existiert (§§ 1773, 1791b BGB). Dies bedeutet, dass das Familiengericht vor Bestellung des Jugendamtes die etwaige Heranziehung eines Einzelvormunds oder -pflegers zu prüfen hat.[543] Dies gilt auch für den Fall des notwendig werdenden Wechsels des Amtsvormunds/-pflegers.[544] Für die örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes wird hierbei gem. § 87c Abs. 3 SGB VIII an den gewöhnlichen Aufenthalt des Minderjährigen angeknüpft.[545]

 

Rz. 159

Der bestellte Amtsvormund bzw. -pfleger handelt grundsätzlich weisungsfrei und in eigener Verantwortung.[546] Als Realvormund unterliegt er der Dienstaufsicht nur mit Blick auf Gesetzes- oder Pflichtverstöße. Gleichzeitig unterliegt er der Aufsicht des Familiengerichts (§§ 1837, 1840 BGB), d.h. sowohl der Fach- als auch der Rechtsaufsicht.[547] Diese gegenüber Eltern eines Minderjährigen weiter reichenden Beschränkungen folgen daraus, dass sich der Vormund nicht auf den Schutz nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG berufen kann.[548] In Wahrnehmung seiner Aufsicht hat das Familiengericht nach § 1837 Abs. 2 BGB verschiedene Eingriffsmöglichkeiten, wenn entweder bereits Pflichtverstöße festgestellt wurden oder die auf Tatsachen gründende Befürchtung besteht, dass sich der Vormund künftig pflichtwidrig verhalten wird.[549] Als mögliche Maßnahmen kommen dabei in Betracht:

die Erteilung von Ge- und Verboten,[550] deren Umsetzung ...

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