Rz. 52

Kann im jeweils zu bewertenden Einzelfall abgeschätzt werden, dass eine Hilfe für längere Zeit zu leisten ist, so soll gemäß § 36 Abs. 2 S. 1 SGB VIII zur Abgabe eines fachlichen Votums die Entscheidung über die konkret zu wählende Hilfeart im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte erfolgen.[179] Als Maßstab für das Merkmal der "längeren Zeit" wird nach h.M. auf einen Zeitrahmen von mehr als 6 Monaten abgestellt.[180] Aus diesseitiger Sicht erscheint es aber zutreffend, weniger die tatsächliche Zeit als vielmehr das Alter des Kindes und sein Zeitempfinden in den Vordergrund zu stellen.[181] Die hierbei im Zusammenwirken der Fachkräfte zu treffende Entscheidung betrifft allein die Frage, welche Hilfeart in Betracht kommt. Davon unberührt bleibt die Alleinverantwortlichkeit der mit dem Sachverhalt originär befassten Fachkraft über die grundsätzliche Frage, ob Hilfe zur Erziehung einzuleiten ist. Ihr obliegt auch die Verantwortung für die Organisation und Koordination der Hilfeplanung.

 

Rz. 53

Im Zentrum des Hilfeplanverfahrens steht der schriftlich zu fixierende Hilfeplan selbst, der allerdings kontinuierlich der jeweiligen Entwicklung der Hilfeleistung anzupassen und zu aktualisieren ist.[182] Dabei sind Anpassungen zu Beginn einer Hilfeleistung in kürzeren Zeitabständen vorzunehmen, als bei einer bereits längerfristig laufenden Hilfe. Auf dem Hilfeplan basiert die Entscheidung zu der jeweils indizierten Hilfeleistung. Er enthält u.a. Aussagen darüber, welcher erzieherische Bedarf besteht, welche Hilfeart geeignet und notwendig ist, welche Hilfen bereits erbracht wurden und welcher Fachkraft die Koordination der Hilfe obliegt.[183] Für das familiengerichtliche Verfahren besitzt der Hilfeplan besondere Bedeutung in Verfahren nach § 1666 BGB zur Dokumentation bereits erbrachter Hilfen und der Begründung der Notwendigkeit sorgerechtlicher Regelungen. Ebenso kommt dem Hilfeplan aber auch Bedeutung zu, wenn es um die Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen geht.[184] Im Zuge der Unterrichtung des Familiengerichts durch das Jugendamt gem. § 8a SGB VIII oder der Mitwirkung nach § 50 Abs. 2 SGB VIII ist daher auch der Hilfeplan vorzulegen.

 

Rz. 54

In die Hilfeplanerstellung muss der Leistungsberechtigte einbezogen werden. Dies sind – je nach Art der Hilfeleistung – die Personensorgeberechtigten und das Kind bzw. der Jugendliche. Gerade bezüglich des Minderjährigen ist eine eigenständige Einbeziehung in die Hilfeplanung von erheblicher Bedeutung, da nur so der persönliche Kontakt zu der Fachkraft und damit eine eigene Hilfebeziehung hergestellt werden kann[185] bzw. auch nur so der erzieherische Bedarf des Minderjährigen festgestellt werden kann.[186] Wurde dem Leistungsberechtigten keine Gelegenheit zur Mitwirkung gegeben, so ist eine Hilfegewährung nur dann formell rechtsmäßig, wenn der Berechtigte auf eine Mitwirkung verzichtet hat. Bei Verletzung dieser Beteiligungsrechte kann der korrespondierende Rechtsanspruch klageweise geltend gemacht werden. Wird ein Hilfeplan überhaupt nicht erstellt, so ist dies zwar ein Verstoß gegen das Verfahrensrecht, doch hat dies keine Auswirkung auf die Rechtswirksamkeit der bewilligten Hilfeleistung.[187] In jedem Fall ist allerdings die Hilfeplanung umgehend nachzuholen.

 

Rz. 55

§ 36 Abs. 2 S. 3 SGB VIII sieht ferner die Beteiligung weiterer Adressaten vor, wenn sie bei der Durchführung der Hilfe tätig sind. Genannt werden insoweit "andere Personen", d.h. Fachkräfte, die nicht bereits im Zusammenhang mit der Hilfeplanerstellung tätig geworden sind, aber im Zuge der Hilfeleistung künftig tätig werden, Dienste oder Einrichtungen. Stehen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung in Rede, so sind als zuständige Stellen etwa die ARGE oder die Agentur für Arbeit zu beteiligen. Von ihnen sind bei der Erstellung des Hilfeplans konkrete Vorschläge zu unterbreiten hinsichtlich der geeigneten und notwendigen Maßnahmen der beruflichen Eingliederung, wobei allerdings das Jugendamt die abschließende Steuerungsverantwortung hat. Zielsetzung dieser umfassenden Beteiligung ist die Qualifizierung und Spezifizierung des Hilfeplans,[188] um die bestmögliche Form der Hilfe zu gewährleisten.

 

Rz. 56

In Fällen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII soll zusätzlich ein Arzt oder Psychotherapeut, der die nach dieser Vorschrift vorgesehene Stellungnahme abgegeben hat, sowohl an der Hilfeplanerstellung als auch an der Durchführung der Hilfe beteiligt sein. Mit der konkreten Wortwahl ("soll") bringt der Gesetzgeber allerdings zum Ausdruck, dass dem Jugendamt bei der Entscheidung, ob eine solche Stellungnahme eingeholt wird, ein Ermessen zukommt.

 

Rz. 57

Letztlich sieht § 36 Abs. 4 SGB VIII vor, dass bei Hilfen, die ganz oder teilweise im Ausland erbracht werden, durch die wertende Stellungnahme eines Angehörigen der in § 35a Abs. 1a SGB VIII genannten Berufsgruppen ausgeschlossen werden soll, dass der betroffene Minderjährige unter einer seelischen Störung mit Krankheitswert leidet und damit für ihn im Ergebnis e...

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