Rz. 79

Kommt der Tatbestand der Verkehrsunfallflucht gem. § 142 StGB in Betracht, muss nach Gründen gesucht werden, die im Bereich des Vorsatzes liegen, die eine Strafbarkeit ausschließen. Erfahrungsgemäß ist sich nahezu kein Mandant im Klaren darüber, dass er sich strafbar gemacht hat, sondern hat aus einer Vielzahl von Motiven gehandelt. Hierbei ist an Feststellungen zur Höhe des Schadens zu denken, etwa durch Einschaltung eines Gutachters (zur Beteiligung von Rechtsschutz und zur möglichen Rechtsschutzdeckung für außergerichtliche Gutachten vgl. auch § 17 Rdn 75 ff.), wenn beispielsweise die Schäden kaum mit dem Geschehen korrespondieren oder aber die Schäden deutlich zu hoch ausfallen aufgrund von Privatwerkstätten, die Kostenanschläge machen und nicht seriös erscheinen.

Eine wichtige Entscheidung gibt ebenfalls die Bedeutung der Feststellungen zum Vorsatz vor: Das BVerfG[69] stellte keine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB bei vorsatzlosem Sich-Entfernen vom Unfallort fest:

Zitat

Der Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Herford wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Er hatte mit seinem Auto beim verbotswidrigen Überholen auf einem Baustellenabschnitt Rollsplitt aufgewirbelt, wodurch an dem überholten Fahrzeug Schäden in Höhe von knapp 1.900 EUR entstanden. Als der Beschwerdeführer auf das Gelände einer ca. 500 Meter entfernten Tankstelle einbog, machte ihn der Geschädigte dort auf den Unfall aufmerksam. Der Beschwerdeführer bestritt den Überholvorgang und entfernte sich, ohne dem Geschädigten die Feststellung seiner Personalien zu ermöglichen. Da dem Beschwerdeführer nicht nachgewiesen werden konnte, das schadensverursachende Ereignis bemerkt zu haben, schied nach Auffassung des Amtsgerichts eine Verurteilung nach § 142 Abs. 1 StGB aus. Das Gericht sah aber die Tatbestandsalternative des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB als erfüllt an, da das unvorsätzliche Entfernen vom Unfallort – also das Entfernen in Unkenntnis des Unfalls – dem berechtigten oder entschuldigten Entfernen gleichzusetzen sei und der Beschwerdeführer die erforderlichen Feststellungen nicht nachträglich ermöglicht habe. Das Oberlandesgericht verwarf die Revision, dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft folgend, als offensichtlich unbegründet. Mit dieser Rechtsauffassung folgte das Gericht einer langjährigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (sic!).

Die Reichweite des strafrechtlichen Analogieverbots ist bereits Gegenstand bundesverfassungsgerichtlicher Entscheidungen gewesen.[70] Danach ist die zulässige Verfassungsbeschwerde in einem die Entscheidungskompetenz der Kammer begründenden Sinne offensichtlich begründet.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts[71] enthält die Regelung des Art. 103 Abs. 2 GG nicht nur ein Rückwirkungsverbot für Strafvorschriften. Sie verpflichtet den Gesetzgeber auch, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straftatbestände sich aus dem Wortlaut ergeben oder jedenfalls durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass die Entscheidung über strafwürdiges Verhalten im Voraus vom Gesetzgeber und nicht erst nachträglich von der vollziehenden oder der rechtsprechenden Gewalt gefällt wird. Für die Rechtsprechung folgt aus dem Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit ein Verbot analoger oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung. Ausgeschlossen ist danach jede Rechtsanwendung, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten garantieren will, ist die Grenze aus dessen Sicht zu bestimmen.

In Rechtsprechung und Schrifttum ist seit langem umstritten, ob das unvorsätzliche Entfernen vom Unfallort dem berechtigten oder entschuldigten Entfernen im Sinne des § 142 Abs. 2 Nr. 2 StGB gleichzusetzen sei und also eine nachträgliche Pflicht zur Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen begründe.

Nach mehreren divergierenden obergerichtlichen Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof in seinem Beschl. v. 30.8.1978[72] diese Gleichsetzung bejaht. Die Begriffe "berechtigt oder entschuldigt" seien nicht im technischen Sinne zu verstehen, sondern fänden in der Rechtssprache und ihrem natürlichen Wortsinn entsprechend auch Anwendung auf tatbestandsmäßig nicht vorsätzliche Verhaltensweisen. Die zu § 142 StGB a.F. ergangene Rechtsprechung[73] habe zudem ausdrücklich den Fall einer erst späteren Kenntniserlangung von der eigenen Unfallbeteiligung als Beispiel einer "erlaubten oder entschuldigten" Weiterfahrt bezeichnet; diese Recht...

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