Rz. 1

In der Praxis des Zivilprozesses liegt der wohl überwiegende Anwendungsbereich für das selbstständige Beweisverfahrens in der Prüfung und Feststellung von Mängeln und Schäden in baurechtlichen,[1] aber auch kauf-[2] und mietvertragsrechtlichen[3] Angelegenheiten einschließlich der WEG-Sachen.[4] Auch in allgemeinen haftungsrechtlichen Streitigkeiten ist das selbstständige Beweisverfahren von Bedeutung.[5] Die vom Gesetz eröffnete Beweiserhebung zu Personenschäden führt zunehmend zu Beweisverfahren in Versicherungs-[6] und Arzthaftungssachen.[7]

Das selbstständige Beweisverfahren hat ungeachtet der verfahrensspezifischen Zielrichtungen der zu unterscheidenden Vorgehensweisen nach § 485 Abs. 1 und 2 ZPO nach dem Willen des Gesetzgebers folgende Zwecke:

gerichtliche Beweissicherung,
Prozessvermeidung,
Beschleunigung des Rechtsstreits.
 

Rz. 2

Bei der Abwägung zwischen einer außerprozessualen und einer gerichtlichen Vorgehensweise zur Sachverhaltsaufklärung müssen die Vor- und Nachteile der verschiedenen Handlungsmöglichkeiten gegeneinander abgewogen werden. Das selbstständige Beweisverfahren bietet gegenüber der Einholung eines Privatgutachtens mehrere Vorteile:

Hemmung der Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB),
Möglichkeit eines Antrags auf Prozesskostenhilfe,
weitreichende Verfahrensrechte einschließlich der Möglichkeit einer Streitverkündung,
Verwertung des Beweisergebnisses im Hauptsacheprozess (§ 493 Abs. 1 ZPO).

Als Nachteil muss allerdings die Verfahrensdauer angesehen werden. Das selbstständige Beweisverfahren richtet sich nach den Verfahrensregeln der ZPO, die sich gerade bei komplexen Sachverhalten als Hemmnis für einen beschleunigten Abschluss der Beweiserhebung erweisen können. Zudem betreiben die gerichtlich beauftragten Sachverständigen die erforderliche Begutachtung nicht immer mit der gebotenen Eile. Soweit ein Hauptsacheverfahren folgt, kann die Gesamtabwicklung des Schadensfalls nicht selten eher verzögert als beschleunigt werden. Privatgutachten mögen zügiger zu erlangen sein, sind im anschließenden bzw. begleitenden Rechtsstreit aber nur als Parteivortrag anzusehen. Mitunter bestehen weitere Möglichkeiten: In Arzthaftungssachen kann sich die (kostenfreie) Einschaltung von Gutachter- und Schlichtungskommissionen als vorteilhaft erweisen, zumal dort das Behandlungsgeschehen in der Regel ohne Bindung an konkrete Beweisanträge aufgearbeitet wird. Insoweit muss vor Einleitung des selbstständigen Beweisverfahrens eine Zweckmäßigkeitsbetrachtung unter Berücksichtigung des Mandanteninteresses erfolgen.

 

Rz. 3

Ein vor Antragstellung eingeholtes Privatgutachten zu den gleichen Beweisfragen schließt das Rechtsschutzinteresse für ein isoliertes Beweisverfahren nicht aus. Sind die Beweisfragen jedoch bereits durch ein gerichtlich eingeholtes Gutachten geklärt oder hat der Antragsgegner die zu beweisenden Tatsachen vorbehaltlos anerkannt, dann fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf selbstständiges Beweisverfahren einer der beteiligten Parteien (§ 485 Abs. 3 ZPO).

 

Rz. 4

Noch nicht abschließend geklärt ist, ob eine bestehende Schiedsgutachterabrede der Zulässigkeit eines selbstständigen Beweisverfahrens entgegensteht. Zutreffend wird die Zulässigkeit überwiegend bejaht.[8] Eine Schiedsgerichtsvereinbarung steht einem selbstständigen Beweisverfahren grundsätzlich nicht entgegen (siehe auch § 1033 ZPO).[9]

[1] Vgl. etwa OLG Düsseldorf NJW-RR 1997, 1312.
[5] Vgl. zur Straßenverkehrshaftung OLG Hamm OLGR 1999, 14.
[6] OLG Celle NJW-RR 2011, 1180 (Unfallversicherung); OLG Celle NJW-RR 2011, 536 (Berufsunfähigkeitsversicherung).
[8] Für die Zulässigkeit etwa OLG Karlsruhe NZBau 2015, 775; vgl. zum Ganzen Weise, NJW-Spezial 2015, 684 m.w.N.

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